Geschichte und Bestand

Bibliothek der Hohen Schule Steinfurt

Die historische oder akademische Bibliothek des Gymnasiums Arnoldinum ist die Bibliothek der alten Hohen Schule von der Gründung an bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1811. Das Gymnasium Arnoldinum blickt auf eine lange Geschichte zurück. 1588 durch den Landesherrn Arnold IV. als Lateinschule in Schüttorf bei Bad Bentheim gegründet, wurde die Schule1591 nach der Verlegung nach Burgsteinfurt und mit der Fertigstellung des repräsentativen Schulgebäudes 1593 zu einer akademischen Lehranstalt mit den vier Fakultäten Theologie, Jura, Philosophie und Medizin ausgebaut. Eine Universität dieses Typs ohne das kaiserliche Privileg des Promotionsrechts nannte man Hohe Schule, Gymnasium Illustre oder Gymnasium Academicum.

Initiale
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Als Motive für die Hochschulgründung sind nicht nur konfessionelle bzw. macht-, territorial-, und bildungspolitische Ziele auszumachen, die Stiftung hatte auch einen privaten und individuell-biographischen Grund. Arnold IV. hatte sein Territorium gegen die Vereinnahmung durch die Bistümer Münster und Osnabrück abzusichern, das konfessionelle Motiv der Gründung lag in der Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses. Die Einführung des calvinistischen statt des bisherigen lutherischen Bekenntnisses mit der reformierten Kirchenordnung fiel mit dem Jahr der Schulgründung zusammen. Die Festigung der Gegenreformation durch das von Jesuiten geleitete Gymnasium Paulinum in Münster war für Steinfurt eine Herausforderung, das katholische Zentrum Münster eine scharfe Konkurrenz. Arnold selbst hatte eine, wenn auch kurze, akademische Ausbildung an der damals berühmten Straßburger Akademie des Johann Sturm erfahren, die neben der 1584 gegründeten Herborner Hohen Schule, an der zwei seiner Söhne studierten, zum Vorbild für die Steinfurter Schulgründung wurde.

So bestand das bildungspolitische und private Interesse der Gründung darin, für den Adel der Region und den männlichen Nachwuchs des gräflichen Hauses eine standesgemäße Erziehung zu garantieren und für den Pfarrer- und Beamtenstand eine ordentliche Ausbildung. Nicht zuletzt spielte offensichtlich das mittelalterliche Rechtsinstitut einer Stiftung bei der Schulgründung eine Rolle. Der Stiftungsgedanke sollte die persönliche Frömmigkeit des vorbildlichen Herrschers dokumentieren und die Erinnerung – memoria – an den Regenten wach halten. In der Gründungsphase der Hohen Schule und der neuen Blütezeit nach dem 30-jährigen Krieg, in dem die Akademie mehrmals vor der Auflösung stand, wurde, wie Dokumente und insbesondere der Bestand der wissenschaftlichen Bibliothek belegen, eine intensive Auseinandersetzung um die Zeitströmungen in Theologie und Philosophie geführt. Der Ramismus als Gegenbewegung zum Aristotelismus der Scholastik und der Lutheraner um Melanchthon wurde als verpflichtende Schulphilosophie in den Schulgesetzen festgeschrieben. Der Calvinismus grenzte sich einerseits scharf vom Luthertum ab und stand in Konfrontation zur jesuitischen Theologie der Gegenreformation. Man war gezwungen, Stellung zu beziehen im Konflikt zwischen den unterschiedlichen Strömungen im niederländischen Calvinismus, zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten. Durch mannigfaltige Kontakte nach Herborn war man befasst mit der Föderaltheologie, die zur Grundlage des modernen Staatsgedankens eines Althusius wurde, der für kurze Zeit in Steinfurt wirkte.

Da die Matrikel der Hohen Schule verloren gegangen ist, sind keine genauen Angaben über die Herkunft und die Anzahl der Studenten in den verschiedenen Zeiträumen möglich. In einer frühen Schrift wird von einer Höchstzahl von etwa 300 Studenten ausgegangen. An Hand der Biographien der 76 Professoren, die bis zur Auflösung an der Steinfurter Akademie wirkten, der Herkunftshinweise in Matrikeln anderer Universitäten und der biographischen Angaben zu Pfarrern und Beamten im Steinfurter Territorium und in den benachbarten Niederlanden kann als charakteristisch für die Steinfurter Schule angesehen werden, dass ein ständiger Austausch zwischen den Regionen stattgefunden hat, der Einfluss der Hohen Schule über das engere Gebiet weit hinaus ging und damit in Steinfurt ein Kulturmittelpunkt von mehr als nur regionaler Bedeutung entstanden war. Als nach mehr als 200-jährigem Bestehen im Jahre 1811 die Hohe Schule durch die napoleonische Verwaltung aufgelöst wurde, war damit ein Zustand beendet, der sich schon seit längerem angekündigt hatte. Es waren zwar noch Professoren vorhanden, aber seit einigen Jahrzehnten kaum noch Studenten. Die Institution der Hohen Schule hatte sich überlebt.

Digitalisat
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Der Gesamtbuchbestand der Bibliothek umfasst heute 2732 Titel in ca.1880 Bänden, darunter sind drei Handschriften, vier Inkunabeln und 276 Karten. Die Mehrzahl der Werke stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Die thematisch größten Gruppen stellen die Werke der juristischen und theologischen Abteilung, die medizinische Abteilung umfasst nur 80 Titel. Es überwiegen bei weitem die lateinischen Werke, aber es sind auch zahlreiche deutschsprachige Werke vorhanden. Daneben finden sich Bücher in niederländischer, hebräischer, griechischer, französischer, italienischer, englischer und spanischer Sprache. Der Bestand verteilt sich auf sechs systematische Hauptgruppen: Theologie, Jura, Philosophie, Medizin, Historie und Philologie.

Der Aufbau des Bestandes erfolgte fast ausschließlich durch Geschenke des Schulgründers (112 Titel), späterer Mitglieder der gräflichen Familie, von Professoren, besonders von Johann Winand Pagenstecher und Rutgersius, und ehemaligen Schülern. Einen größeren Verlust erlitt die Bibliothek durch eine Plünderung 1635 im Dreißigjährigen Krieg. Das Senatsprotokoll hält aber fest, der größere Teil der Bücher sei durch zwei Professoren zurückgekauft worden.

Die Hohe Schule beschäftigte von ihrer Gründung an bis zur Auflösung immer einen akademischen Buchdrucker, so dass viele Werke der Professoren, die an ihr lehrten, den Druckort Steinfurt aufweisen. Die Namen der Bibliothekare sind lückenlos von 1699 bis heute überliefert; bis 1811 waren sie Professoren, ab 1853 Lehrer des Gymnasiums.

Nach dem Ende der Hohen Schule wurde die Bibliothek im Schloss aufbewahrt und nach der Errichtung des neuen Schulgebäudes dem Gymnasium zurückgegeben. Da im 19. Jahrhundert eine neue, zeitgemäße Lehrerbibliothek aufgebaut wurde, fristete die akademische Bibliothek beinahe hundert Jahre ein Schattendasein. Über die Verwahrung, Sicherung und den Umgang mit der Bibliothek ist schriftlich nichts überliefert. Offenbar wurden einzelne bedeutende oder schöne Werke des Bestandes nie in einer Ausstellung öffentlich gezeigt.

1943 legte der damalige Direktor nach dem alten Buchkatalog von 1772/73 einen systematischen Zettelkatalog an, der auch inzwischen eingetretene Verluste verzeichnet, die sich allerdings in Grenzen hielten. Mit der Restaurierung einzelner weniger Werke zur Zeit, da das Arnoldinum nach 1945 in staatlicher Trägerschaft war, der Neukatalogisierung in zwei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den Jahren 1984 bis 1988, mit dem Anschluss des Bestandes an die Fernleihe der wissenschaftlichen Bibliotheken und dem Erscheinen einer Monographie über die Bibliothek zum Schuljubiläum 1988, wurde man wieder auf das wertvolle Kulturgut dieser Bibliothek, die den seltenen Fall der vollständigen Erhaltung einer alten gymnasialen Wissenschaftsbibliothek mit dem besonderen Charakter noch der Gründungszeit darstellt, aufmerksam.

Mit der Übernahme der Bibliotheksverwaltung stellten sich dem jetzigen Amtsinhaber Albert Röser, Oberstudienrat am Gymnasium Arnoldinum, folgende Aufgaben:

1. Umfassende Restaurierung und Pflege des Bestandes; damit zusammenhängend das Gewinnen von Sponsoren; enge Zusammenarbeit mit der "Arbeitsstelle Historische Bestände in Westfalen" an der Universitäts- und Landesbibliothek Münster und damit fachliche Beratung und Zugang zu weiteren Geldmitteln:
In den letzten acht Jahren konnten ca. 200 Werke der Bibliothek, das sind mehr als 10 % des Bestandes, in Fachwerkstätten restauriert werden. Die Finanzierung erfolgte in großzügiger Weise durch die Kulturstiftung der Sparkasse Steinfurt zu zwei Dritteln und zu einem Drittel durch das Land Nordrhein Westfalen über die "Arbeitsstelle Historische Bestände in Westfalen" an der ULB Münster. Die Behebung leichterer Schäden, die Zerlegung von Sammelbänden und das Neueinbinden der Einzelbände erfolgte in der Werkstatt der ULB. Neben der Restaurierung lief eine mehrjährige Buchpflegemaßnahme für alle Bücher, gleichfalls durch die Werkstatt der ULB, durchgeführt in Münster oder in der Bibliothek in Steinfurt selbst.

2. Revision des Bestandes, Überführung der Buchdaten in computerlesbare Form und weitere Erforschung des Bestandes; Erstellen einer CD-ROM mit dem Bibliothekskatalog:
Ursprünglich nur als Revision des Kataloges gedacht, wurde der Buchbestand vollständig neu katalogisiert und in eine Datenbank überführt. Die Umsetzung des Datenbestandes in die Computerlesbarkeit und die Festlegung des endgültigen Status der Buchdaten für das Hochschulbibliothekszentrum NRW ist abgeschlossen. Zahlreiche Einzelschriften in Sammelbänden waren früher noch nicht erfasst worden. Finanziert wurde diese Maßnahme durch namhafte Beträge aus der Stiftung des Kreises Steinfurt und aus Mitteln des Landes NRW bzw. der ULB Münster. Der Bibliotheksbestand soll mit weiteren Informationen zur Bibliothek, zu ausgewählten Schriften und zum kulturellen Umfeld der Hohen Schule als CD-ROM erscheinen. Leitung des Vorhabens, Gestaltung und technische Durchführung liegen beim Fachbereich Design der Fachhochschule Münster. Das Projekt ist eine Gemeinschaftsarbeit der Fachhochschule, der genannten Arbeitsstelle der ULB Münster und des Verwalters der Bibliothek des Gymnasiums. An dem Vorhaben ist auch ein freier Mitarbeiter beteiligt, der seine Diplomarbeit über die Steinfurter Bibliothek geschrieben hat.

Foto
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3. Präsentation des Bestandes durch Ausstellungen in der schulischen und außerschulischen Öffentlichkeit:
In einer Reihe von kleineren und größeren Ausstellungen in und außerhalb der Schule und für Besucher des Gymnasiums wurden ausgewählte Werke der Bibliothek gezeigt: Die Bibliothek beteiligte sich mehrmals mit einer Ausstellung am Tag des Offenen Denkmals in Steinfurt und am 650-jährigen Stadtjubiläum. Für Besucher der Schule oder speziell der Bibliothek wurden Ausstellungen arrangiert. Besonders zu erwähnen sind die Buchausstellung und die Feier zum 500. Geburtstag von Philipp Melanchthon mit der Präsentation von Reformationsschriften aus den Beständen der Bibliothek und mit Leihgaben aus der ULB Münster in den Räumen der Kulturstiftung der Sparkasse Steinfurt im Jahr 1997 und die Ausstellung "Bücher und Menschen in Krieg und Frieden" im Rahmen des Schulprojekts zur Feier der 350. Wiederkehr des Westfälischen Friedens von Münster und Osnabrück. Beide Ausstellungen erforderten Monate intensiver Vorbereitung. Die Melanchthonfeier war gleichzeitig Dank an die Kulturstiftung der Sparkasse für die Finanzierung der Buchrestaurierung und Vorstellen der Ergebnisse der Restaurierungsarbeiten. Der Dank an die Sparkasse wurde in der Weise erwidert, dass sie sich bereit erklärte, die Restaurierung noch zwei weitere Jahre, schließlich wurden es sogar drei, zu fördern. Interessierte und aufgeschlossene Besucher der Bibliothek erfahren immer die Faszination, die von schönen, bedeutenden und wertvollen alten Büchern ausgeht. Sie sind überrascht, dass eine Schule noch diese kulturgeschichtlichen Einblicke bieten kann. Die Bibliothek wird so zum Ort, an dem bei entsprechender Information und Interpretation geistesgeschichtlich-kulturelle Überlieferung unmittelbar zu spüren ist.

Text: Albert Röser