Münster goes Micronesia oder Was macht die dicke Frau da in dem Topf?

Es wurde schon öfter über die Sammlung Kapuzinermission berichtet, die 2010 als Depositum von der Deutschen Kapuzinerprovinz an die Universitäts- und Landesbibliothek Münster übergeben wurde. Uns ist bewusst, welche Bedeutung die Bild- und Schriftdokumente dieser zwei Missionsprojekte (Südsee und China) für Historiker und Ethnologen haben und wie wichtig die Konservierung und Erschließung des umfangreichen Bestandes ist. Damit nicht nur die Wissenschaft ihr Forschungsvergnügen hat, sondern auch ein breiteres Publikum einen Eindruck von den historischen Dokumenten bekommt, wurde bereits ein umfangreiches Fotoalbum in unseren Digitalen Sammlungen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Während eines mehrtägigen Studienaufenthaltes zur Sichtung der Südseedokumente unserer Sammlung Kapuzinermission machte im Juli Dr. Constanze Dupont, z.Zt. wissenschaftliche Mitarbeiterin im Graduiertenkolleg „Wert und Äquivalent“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, einige wichtige Entdeckungen. Die Ethnologin und Palau-Forscherin arbeitete auch als Kuratorin des Etpison Museums auf Koror. Bei Durchsicht des umfangreichen Südsee-Fotoarchivs wurden etliche Motive von ihr näher bestimmt, die bei vorangegangen Erschließungsarbeiten seitens der ULB nur ungenau beschrieben werden konnten. Viele Fotos ohne geografische Angaben konnten nun von Constanze Dupont den Palau-Inseln zugeordnet werden.

Ein Digitalisat des folgenden Fotos hatten wir ihr bereits nach Palau geschickt, wo sie bei weiteren Recherchen zu dem Bild von neugierigen Kindern gefragt wurde: „Was macht denn die dicke Frau da in dem Topf?“.

Häuptlingsversammlung
© ULB

Gemeint ist die männliche Person, die in der Bildmitte in einem merkwürdigen „Behältnis“ hockt und sich nun als der „Oberhäuptling“ Chokebai Ngirailengelekei entpuppt, den die Palauer auch heute noch den „dicken Ibedul“ (Ibedul=ranghöchster Häuptling eines Dorfes) nennen. Alte Aufzeichnungen berichten, dass dieser sich in einer Sänfte herumtragen ließ. Ihr Aussehen wurde leider nicht überliefert. Das Foto zeigt ihn in einer Häuptlingsversammlung anlässlich Kaisers Geburtstag. Gemeint ist der Geburtstag von Kaiser Wilhelm II., Palau war von 1899 bis 1918 eine deutsche Kolonie. Und dieses Foto zeigt nun tatsächlich das bootsähnliche Transportmittel des mutmaßlich schwer erkrankten Mannes. Auch Ibedul Louch (rechts vorne), Nachfolger des „dicken Ibedul“, wurde identifiziert. Somit können wir das Foto auf die Zeit vor 1911 datieren, denn Ibedul Louch amtierte als „Oberhäuptling“ von 1911 bis 1917.

Ein anderes Foto konnte von uns zuerst nur mit „Männergruppe vor einem Baum“ beschrieben werden. Auch hier gelang die Verortung nach Palau. Und das so harmlos wirkende „Männer-Stelldichein“ ist in Wirklichkeit ein wichtiges Ritual.

Männer bei Ritual
© ULB

Hier bekommt jemand als Statussymbol einen ganz besonderen Armreif (Olecholl) angelegt, der aus dem Wirbelknochen eines Dugong (Gabelschwanz-Seekuh) besteht. Dieses Ritual war für den Empfänger des Schmuckstückes eine sehr schmerzhafte Tortur. Ihm wurde ein Band an jeden Finger seiner gut eingeölten Hand geknotet, die Bänder wurden durch die Öffnung des Dugong-Wirbelknochens geführt. Dann folgte ein heftiges Tauziehen, bei dem ein oder mehrere Männer an den Bändern zogen, ein anderer Mann den zu Schmückenden festhielt, bzw. in die andere Richtung zog und ein weiterer Mann durch ordentliches Handquetschen versuchte, den Armreif über die natürlich viel zu große Hand zu streifen. Verletzungen gehörten zum Ritual. Dass dieses überhaupt fotografiert werden durfte, zeugt wohl von dem guten Verhältnis der Kapuzinerbrüder zu den Palauern.

Schulklasse
© ULB

Besonders berührend für Constanze Dupont war der Fund von palauischen Schulheften aus der deutschen Kolonialzeit mit Schreib- und Zeichenübungen und entsprechend lobenden oder tadelnden Kommentaren der Lehrer. Die in den Schulheften aufgeführten Familiennamen existieren heute noch. Scans einiger Hefte sollen in der Inselrepublik ausgestellt werden. So können einige Familien nach über 100 Jahren tatsächlich noch die Schreibübungen ihrer Vorfahren bestaunen.

Viele palauische Artefakte gelangten im Laufe von Jahrhunderten aus der Südsee nach Europa und blieben hier der Nachwelt erhalten, was in Palau aufgrund von Klima, Wetter- und auch Kriegskatastrophen nicht immer möglich war. In dem Katalog „Palau in Europe : published by the Etpison Museum, Palau“ (ULB-Signatur H WES 2.61 KM 11) zeigen Mandy Thijssen Etpison und Constanze Dupont, welche Schätze heute noch in europäischen Museen zu finden sind.

Spuren dieser verlorenen Zeit in Form von Fotos und schriftlichen Dokumenten der Kapuzinermission finden sich eben auch im Handschriftenmagazin der Universitätsbibliothek Münster.

Birgit Heitfeld-Rydzik