Geschichte und Bestand

Bibliothek des Rivius-Gymnasiums in Attendorn

Als traditionsreiche Schule mit humanistischen Wurzeln, die bis in das Jahr 1515 zurückgehen und die ersten ihrer Art im südlichen Westfalen darstellten, besitzt das Rivius-Gymnasium in Attendorn eine bedeutende historische Bibliothek von 1477 Titeln in rund 3000 Bänden.

Gegründet wurde die Schule durch den katholischen Pfarrer Tilman Mülle, der die bestehende scholastische Lateinschule zu Attendorn mit modernen humanistischen Bildungsmethoden fortführte – zunächst in seinem eigenen Pfarrhaus. Aufgrund seiner Vorlieben für unkonventionellen Unterricht und griechische, als heidnisch geltende Klassiker, wurde Mülle jedoch bald seines Amtes enthoben. Einer seiner Schüler hieß Johannes Rivius, der später selbst Lehrer und Reformer für ein neuzeitliches Bildungssystem wurde. Nach ihm erhielt das Städtische Gymnasium später seinen heutigen Namen. Rivius‘ Vermächtnis an die Nachwelt war beträchtlich, da er sich nicht nur mit Schule und Bildung befasste, sondern auch philologische und theologische Arbeiten vollbrachte. Eine Kostbarkeit der Bibliothek des Attendorner Gymnasiums ist daher ein Sallusttext, der rahmenartige Kommentare durch Rivius selbst sowie Kommentare anderer Humanisten enthält und 1561 in Köln gedruckt wurde.

Die Schule wurde von 1638 bis 1804 von den Franziskanern übernommen und Gymnasium Marianum Seraphicum genannt. Mehrmals wurden die Gebäude des Gymnasiums durch Brände vernichtet, so auch 1783, als auch das gesamte Archiv zum Opfer fiel. Als Konsequenz des Niedergangs des Gymnasiums nach dem Brand befahl die damalige Regierung seine Aufhebung.

Bücher aus der Zeit vor 1800 sind daher – abgesehen von sehr vereinzelten theologischen Werken – kaum erhalten geblieben, sodass mit dem Aufbau einer ganz neuen Bibliothek begonnen wurde, als die Schule 1825 zum Progymnasium wurde. Zu dieser Zeit war Attendorn unter preußische Führung gelangt und damit auch bekannt mit der neuhumanistischen Schulreform Wilhelm von Humboldts. In der Folgezeit wurde die Lernanstalt immer weiter ausgebaut. Im Jahr 1874 durfte dann endlich die Eröffnung des Vollgymnasiums gefeiert werden, an dem fortan das Abitur erworben werden konnte.

Die „Lehrerbibliothek“ wird in einer Übersicht von 1857 näher beschrieben:
„Bei der Gründung der Anstalt im Jahre 1825 fanden sich nur wenige Bücher, meist theologischen Inhalts, aus der ehemaligen Klosterbibliothek vor, auch stand in den ersten 22 Jahren nur eine geringe Summe zur Anschaffung von Lehrmitteln zu Gebote. Erst in dem neuen Etat p. 1847 wurden für die Vervollständigung aller Sammlungen der Anstalt jährlich 75 Thlr. ausgeworfen, […] Die Lehrerbibliothek zählt gegenwärtig 495 Bände. Außerdem besitzt sie zwei Atlasse von der alten Welt, zwei Globen, 38 einzelne Landkarten, mehrere Zeitschriften und eine ziemlich große Anzahl in Kapseln aufbewahrter Programme.“

Von 1875 bis 1975 fungierte die Schule als Städtisches Gymnasium. 1887 wurde das dazu gehörige Gymnasialkonvikt „Collegium Bernhardinum“ für auswärtige Schüler eröffnet, 1907 und 1908 öffneten die jeweiligen Neubauten des Collegiums und des Gymnasiums ihre Pforten. Im Jubiläumsjahr 1925 wurde von Direktor Dr. A. Overmann eine Festschrift herausgegeben, die u.a. eine detailierte Chronik der Schulgeschichte liefert. In seiner wissenschaftlichen Abhandlung wenige Jahre später spricht er auch die Situation der Bibliothek an. So sei der Etat von 1847 nur ein Jahr später schon wieder gestrichen worden. Spätere Erwerbungen seien insbesondere den Schenkungen eines Ministers und eines Direktors zu verdanken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beinhalte die Bibliothek 3707 Werke in 5500 Bänden, die jedoch zu einem großen Teil veraltet oder unvollständig seien. Overmann bemängelt die kaum vorhandenen geldlichen Mittel sowie den schlechten Standort der Büchersammlung in einem feuchten Keller. Auch die Situation der Schülerbibliothek erscheint ihm ähnlich problematisch, wobei er die pädagogische Bedeutsamkeit der Bücher für die Schüler hervorhebt. Damit stand die Bibliothek im Einklang mit den sonstigen finanziellen Engpässen, mit denen sich die gesamte Schule in seiner Geschichte häufig konfrontiert sah.

Ab 1933 konnte sich die bis dahin stetige Entwicklung des Attendorner Gymnasiums nicht mehr der NSDAP entziehen. Wie so viele Schulen sollte auch hier ein einfaches Instrument für die geistige Uniformierung Jugendlicher entstehen. Dennoch gelang es, wie der damalige Schulleiter Stannat in seiner Festschrift von 1975 betonte, in Stadt und Schule vielfältigen Widerstand entgegenzusetzen. Die humanitischen Bildungsideale mussten trotzdem bis 1945 weitgehend auf Eis gelegt werden.

In den Fünfziger und Sechziger Jahren erfolgte die allmähliche Wandlung hin zu einem neusprachlichen Gymnasium und weiteren Reformen, wie etwa in der Oberstufe und mit der Koedukation, bis 1975 in einer großen Feier der Name „Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn“ verliehen wurde. Heute ist die Schule stets bestrebt, die Balance zwischen Tradition und Modernität aufrecht zu erhalten, indem es ein abwechslungsreiches Schulleben in den Bereichen Fremdsprachen, Musik und Kunst, Sport, neuen Medien und Methoden, etc. bietet.

Nicole Fund

Quellen:
Overmann, Anton: Festschrift zur Jubelfeier des Gymnasiums zu Attendorn. Attendorn 1925.
Overmann, Anton: Das Gymnasium in Attendorn. Eine aktenmäßige Darlegung der geschichtlichen Entwicklung der Schule von den Anfängen bis zur Gegenwart. Münster 1928.
Stannat, Werner (Hg.): Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn. Festschrift. Attendorn 1975.
Tilmann, Franz (Red.): Rivius 2000. Gymnasium der Stadt Attendorn. Attendorn 2000.