Geschichte und Bestand

Pfarrbibliothek St. Goar zu Hesborn
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Die historische Bibliothek der Pfarrei St. Goar in Hesborn umfasst etwa 250 Bände mit Drucken aus dem 16. bis 20. Jahrhundert. Der überwiegende Teil des Bestandes stammt aus der Zeit des Spätbarock.

Die Geschichte der dem Amte Hallenberg unterstehenden Pfarrgemeinde reicht wesentlich weiter zurück, ist aber bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts nur lückenhaft überliefert. Hallenberg wurde im Zuge der Reformation 1568 protestantisch, wandte sich aber bereits im Jahre 1584 wieder dem Katholizismus zu. Im selben Jahr erfolgte die Vereinigung von St. Goar mit der Pfarrei Züschen. 1731 konnte die Gemeinde Hesborn beim Kölner Kurfürsten Clemens August die erneute Trennung beider Pfarreien erwirken.

Mit dem Anschluss des Herzogtums Westfalen an das spätere Großherzogtum Hessen-Darmstadt gerieten auch das kurkölnische Sauerland und damit Hallenberg unter hessische Herrschaft, bevor Westfalen preußische Provinz wurde. So gelangte während der Zeit zwischen Reichsdeputationshauptschluss und Wiener Kongress (1802/03–1816) – im Zuge oder unter dem Vorwand der Säkularisation – manche bibliophile Kostbarkeit aus den westfälischen Pfarr-, Probstei- und Klosterbibliotheken nach Darmstadt. Ein Großteil der Bestände wurde nun oder später den Bibliotheken der Hochschulen in Paderborn und Münster inkorporiert.

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Der schon aufgrund ihres relativ geringen Umfangs unbedeutend erscheinenden Pfarrbibliothek von St. Goar blieb ein solches Schicksal erspart. Wie die handschriftlichen Besitzvermerke, welche viele der erhaltenen Bücher zieren, verraten, befand sich zudem der überwiegende Teil des Bestandes im Privatbesitz des Pfarrers Bernhard (Bernardus) Guntermann (1735–1806, Pfarrer in Hesborn seit 1765) und ging erst nach dessen Tode ins Eigentum der Pfarrei über. Er bildet den eigentlichen Grundstock der Bibliothek.

Mehr als die Hälfte der erhaltenen Titel tragen Druckvermerke aus dem 18. Jahrhundert. Etwa 20 % entstammen dem 19., ca. 15 % dem 17. und 10 % (vorwiegend Erbauungsliteratur) dem 20. Jahrhundert. 3 Werke wurden im 16. Jahrhundert gedruckt.

Auch das literarische Spektrum verdeutlicht, dass es sich im Wesentlichen um die durch einige ältere Werke angereicherte und durch spätere Besitzer ergänzte Bibliothek eines Landpfarrers des ausgehenden 18. Jahrhunderts handelt. 213 Titeln aus dem Bereich Theologie stehen lediglich 26 zu (allgemeiner) Geschichte, Naturwissenschaften und (klassischer) Philologie sowie Nachschlagewerke gegenüber. Etwa 60 % der theologischen Literatur dient der praktischen Berufsausübung des Geistlichen: Predigtsammlungen, Liturgie, Seelsorge, Katechese, Andacht und Erbauung, Gesangbücher.

Typisch ist der hohe Anteil homiletischer Werke. So sind im 18. Jahrhundert populäre Autoren wie Joseph Haberkorn von Habersfeld oder Heinrich Venedien mit mehreren Ausgaben ihrer wichtigsten Predigtsammlungen vertreten. Zu den raren und daher besonders wertvollen homiletischen Werken zählt Philipp Kisels “Siebenfältig-blutiges Schau-Spiel deß siebenströmigen geistlichen Nili-Flusses, das ist: Sieben Passion-Predigten ...“ (Bamberg 1697), eine der relativ seltenen Predigt-Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche. Neben dem Hesborner Exemplar ist, soweit feststellbar, in öffentlichem Besitz in Nordrhein-Westfalen kein weiteres vorhanden!

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Das älteste Buch der Sammlung ist eine gediegene Ausgabe der Werke des Kirchenvaters Johannes Chrysostomus (345–407) aus der Werkstatt des berühmten Baseler Buchdruckers Johannes Froben (1460–1527): „Commentatorium in Acta apostolorum homiliae quinquagintaquinque“ (Basel 1531).

Unter den in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschienenen Werken ragen aufgrund ihrer Seltenheit und des hohen Ansehens ihrer Verfasser die „Nosologia Harmonica Dogmatica [et] Hermetica“ (Marburg / Kassel 1615) des Schulmannes, Philologen und Rechtsgelehrten Heinrich Petreus (1546–1615) und eine dogmatische Schrift des Jesuiten, Pädagogen und berühmten Kontroverstheologen Jodocus Kedd (1597–1657): „Heliopolis oder Sonnen-Statt unsers Heylandts und Seligmachers Jesu Christi“ (Köln 1649) heraus.

Zu den bemerkenswerten Publikationen aus dem Bereich der Kontroverstheologie zählt ein Hauptwerk des Elsässer Theologen Johann Jakob Scheffmacher (1668–1733): „Licht in den Finsternüssen, das ist: die Warheit catholischer Lehr“ (Köln 1736, Neuausgabe der 1. Auflage von 1723). Der Jesuit, seit 1715 Inhaber eines von Ludwig XIV. geschaffenen Lehrstuhls an der katholischen Straßburger Universität und Prediger am Münster, galt als ebenso hochgebildet wie moderat in der Polemik gegenüber dem Protestantismus.

Der Groninger Humanismuslehrer und Philosoph Gaspar Sevenstern ist mit einer Reihe 1671 bzw. 1672 erschienener geistreicher Streitschriften vertreten. Die in dieser Form möglicherweise einmalige Zusammenstellung von Sevensterns „Libelli polemici“ wird durch eine nicht nur im Titel originelle „Freundtliche Einladung auff die wohlgerathene, wolgebratene Martins Gansz“ (Köln 1671) eingeleitet.

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Weniger durch ihre Seltenheit als durch ihre Ausstattung besticht die zehnbändige Sammlung von Cornelius Lapides Bibelkommentar (Antwerpen 1714–1740). Die einzigen hier vertretenen Werke zur Bibelexegese wurden der Bibliothek vom Hesborner Pfarrer Johann Jakob Berkenkopf gestiftet.

Religionsgeschichtliches Interesse beansprucht eine Sammlung von Polemiken um Historie, Authentizität und symbolische Bedeutung des „heil. Rockes in der Domkirche zu Trier“, welche die um die Mitte des 19. Jahrhunderts besonders unter katholischen Theologen geführte heftige Debatte um die Einheit von Kirche und Glauben widerspiegelt. Die Zusammenstellung der Streitschriften in der vorliegenden Form ist als einmalig für unsere Region anzusehen.

Zu den Rariräten der Hesborner historischen Bibliothek zählt auch die zweibändige, schön gebundene und geschmackvoll verzierte Maastrichter Ausgabe von Werner d’Audaces „Breviarium canonicorum regularium sacri et exempti Ordinis Sanctae Crucae“ aus dem Jahre 1727.

An die Bedeutung landwirtschaftlicher Kenntnisse für den finanziell meist schlecht gestellten Landgeistlichen erinnert ein ebenso seltener wie praktischer Titel: „Linien der Naturkünde des Ackerbaues in einer kurzgefaßten Bauernphysik“, 1770 von Johann Eberhard von Kayser in Fulda in zwei Büchern herausgegeben. Das Werk befand sich wie viele andere im Besitz Bernhard Guntermanns.

Allein 74 der insgesamt erfassten 306 Provenienzen (Vermerke zur Herkunft der Bücher) stammen von Guntermanns Hand. Neben ihm konnten 114 weitere Personen und 13 Institutionen als Vorbesitzer identifiziert werden. Jeweils mehr als zwei Einträge stammen von Johannes Bernhard Büsse (1732–1765 Pfarrer an St. Goar und direkter Amtsvorgänger B. Guntermanns), Guntermanns Bruder Johannes (Schulvikar und 1803–1807 Pfarrverweser in Hesborn), dem Hesborner Pfarrer Franz Joseph Harbeke (dort 1810–1856 im Amt), dem Winterberger Vikar Franciscus Reinardus Martini, Heinrich Möhring (1910–1933 Pfarrer in Hesborn), dem Züschener Pastor Johannes Heinrich Sasse, Ignaz Scheefers (Pfarrer an St. Goar 1872–1888), Johannes Jodocus Stahlschmidt (Vikar in Braunshausen) sowie dem Schüler Anton Stollmeyer aus Paderborn und Josefine Schulte aus Röhrenspring (nicht näher identifiziert).

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Hinweise auf Bücher besitzende oder spendende Institutionen bzw. Körperschaften stehen häufig in Zusammenhang mit der Verleihung von Buchprämien. So wurden offensichtlich mehrere Bände aus der Hesborner Bibliothek ursprünglich vom Rat der Stadt Geseke gestiftet, worauf ein jeweils auf dem vorderem und hinterem Buchdeckel angebrachter Prägestempel mit der Inschrift „Ex Liberali Donatione Senatus Gesecensis“ hinweist. In Zusammenhang mit Buchprämien finden u. a. das Arnsberger Gymnasium Laurentianum, das Gymnasium Antoninum in Geseke und das Düsseldorfer Jesuiten-Gymnasium Erwähnung.

Die ursprünglichen Besitzer der Bücher stammen oft aus – zumeist kleineren – Ortschaften im kurkölnischen Sauerland (neben Hallenberg und Winterberg etwa Medebach, Braunshausen, Liesen, Bödefeld, Sibach, Glindfeld oder Wünnenberg), aber auch aus den westfälischen Zentren Münster und Paderborn; in einigen Fällen weisen Besitzvermerke auch nach Köln, Düsseldorf oder in die hessische Nachbarregion.

Der Erhaltungszustand der Werke ist höchst unterschiedlich. Durch unsachgemäße Lagerung, Feuchtigkeitseinfluss, Insektenbefall oder Mäusefraß hervorgerufene Schäden bedürfen vielfach dringend einer fachgerechten Restaurierung. Erste Restaurierungsmaßnahmen sind mittlerweile erfolgt, einige ehemals schadhafte Bände aus der historischen Bibliothek der Pfarrei St. Goar zu Hesborn bereits wiederhergestellt.

Dr. Stephan Bialas