Geschichte und Bestand

Von und zur Mühlen'sche Bibliothek / Nünning in Senden-Bösensell
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Die 7.570 Titel umfassende Bibliothek auf Haus Ruhr besteht in ihrem Kern aus der Privatbibliothek des Jodokus Hermann Nünning. Jodokus Hermann Nünning (1675–1753) ist der erste Geschichtsschreiber, der sich – auch als Numismatiker – mit der nicht schriftlich überlieferten Landesgeschichte befasst. Sein Sepulcretum, eine 1713 erschienene Abhandlung über Bestattungsriten, wurde noch 1855 ins Deutsche übersetzt.

Nach Studienjahren an der Akademie in Münster, der Hohen Schule in Steinfurt und der Universität in Helmstedt sowie einer mehr als fünfjährigen Bildungsreise durch Sachsen, Böhmen, Österreich, Belgien und Italien kehrte er nach Westfalen zurück und widmete sich seinen gelehrten Studien. Er führte eine umfangreiche Korrespondenz mit Bücheragenten und Buchhändlern, erwarb gezielt antiquarische Titel an Hand von Antiquariatskatalogen. Seine Bibliothek, ursprünglich als Grundstock für die noch zu errichtende Universitätsbibliothek Münster gedacht, blieb geschlossen erhalten. Sie befindet sich heute auf Haus Alvinghoff.

Die Universalität der Sammlung spiegelt sich in der sprachlichen Verteilung: 42 Prozent sind auf Deutsch abgefasst, 46 Prozent in der klassischen Gelehrtensprache Latein, weitere 6 Prozent auf Französisch, der Hofsprache des 18. Jahrhunderts. Von den übrigen Sprachen verdient das Niederländische (6 Prozent) Beachtung, während die wenigen anderen Titel (Griechisch, Hebräisch, Italienisch) nicht ins Gewicht fallen. Der Bestand ist in 74 Sachgruppen (einschließlich der Untergruppen) eingeteilt, wobei die Zuordnungen nicht immer korrekt sind. Auffallend ist ein hoher Anteil von Sammelbänden.

Die Gruppe Allgemeines umfasst 390 Titel, darunter Lexika und Allgemeinenzyklopädien, Wörterbücher, Bibliograhien und gedruckte Kataloge von Buchsammlungen, Kunstkammern oder Raritätenkabinetten. Kulturgeschichtliche Dartellungen schließen sich an.

Die Gruppe Biographien enthält 230 Titel, darunter zahlreiche Gelegenheitsschriften (vor allem Leichenpredigten) des Barock. Biographien preußisch-deutscher Staatsmänner sowie Heiligenviten (u.a. die Acta Sanctorum) schließen sich an, auch drei zeitgenössische Schriften zur Stigmatisierung der Anna Katharina Emmerick.

Die Genealogie nimmt mit 30 Titeln zwar rein quantitativ keinen großen Platz ein, enthält jedoch wichtige und seltene Lexika und theoretische Werke zur Genealogie, außerdem vereinzelt Familiengeschichten (letztere zum Teil auch bei "Biographien"). Die Sachgruppe Adel und Lehnswesen (ca. 125 Titel) enthält recht heterogenes Material: Staatsrechtliche Abhandlungen über Lehnsrecht und Feudalrecht (u.a. von Samuel von Pufendorf) sind hier ebenso vertreten wie ein Sammelband mit Rechtsstreitigkeiten des 18. Jahrhunderts.

Die umfangreiche (300 Titel) Sachgruppe Numismatik und Heraldik enthält auch einige Titel zur Diplomatik, darunter das Werk, in welchem Jean Mabillon 1681 die Urkundenlehre als Wissenschaft begründete. Zu erwähnen sind auch einige Titel zur Chronologie. Im Bereich der Numismatik sind einige Darstellungen von Münzkabinetten, frühe Auktionskataloge sowie Werke zur Münzgeschichte der Antike zu nennen. Zum Münzrecht finden sich Kommentare und Edikte. Quantitativ nur von geringer Bedeutung ist die Heraldik: Hier sind Theorie und Geschichte der Feldzeichen, Wappenkunst und landesgeschichtliche Abhandlungen vertreten.

An die Universalgeschichte (75 Titel) und die Alte Geschichte (60 Titel) schließt sich der umfangreiche Bestand (200 Titel) der Europäischen Geschichte 1600–1850 an. Schwerpunkte bilden die Literatur zum 30-jährigen Krieg und zum Zeitalter der französischen Revolution: Neben Schriften zu Beginn und Verlauf des 30-jährigen Krieges finden sich Quelleneditionen zu den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück. Französischsprachige Textausgaben von Friedensverträgen, insbesondere des Friedens von Rijswijk (1697) seien genannt. Die Französische Revolution wird interpretiert in Schriften, die die geistesgeschichtliche Umwälzung reflektieren. Daneben tritt Literatur zur Ereignisgeschichte. Zum Wiener Kongress liegen zahlreiche Quellentexte vor.

Die Deutsche Geschichte umfasst 320 Titel. Es finden sich Biographien, Quellentexte und kommentierte Darstellungen der Wahlkapitulationen Leopolds II. Die Restaurationsphase in Deutschland ist in zeitgenössischen Ausgaben dokumentiert. Zu erwähnen ist noch eine umfangreiche Sammlung juristischer Dissertationen des ausgehenden 17. Jahrhunderts.

Titelblatt
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Das Sachgebiet Deutsche Landesgeschichte (580 Titel) ist eines der umfangreichsten des Bibliotheksbestandes. Behandelt wird besonders die Geschichte Preußens, Westfalens und Münsters. Bei der Literatur zur Geschichte Preußens handelt es sich im wesentlichen um Erörterungen der Verfassung Preußens in der nachnapoleonischen Zeit der Restauration.

Die Europäische Staatengeschichte (200 Titel) enthält hauptsächlich Titel zur Geschichte der Niederlande; daneben finden sich Werke zur Geschichte Englands, der skandinavischen Länder und Ungarns. Bei der niederländischen Geschichte stehen auch frühe Werke zur Historie der Friesen und Bataver. Die Anerkennung als souveräner Staat durch den Westfälischen Frieden 1648 ist durch staatsrechtliche Traktate und Kommentare dokumentiert. Die Literatur zu den übrigen Staaten, v.a. Frankreich, Italien und England, ist schwächer vertreten (130 Titel).

Hochinteressante Literatur birgt die Sachgruppe Kulturgeschichte mit 150 Titeln, darunter Werke zur Briefschreibekunst, Benimm- und Anstandsbücher, Anleitungen zum Schachspiel sowie Bücher zu Magie und Hexenwahn. Hier begegnet uns auch Spee's Cautio criminalis in der Rintelner Erstausgabe von 1631 oder ein Buch über den Hexenprozess in Coesfeld.

Einen großen Teil nimmt mit 1490 Titeln die theologische Literatur ein. Neben allgemeiner Literatur, Biblelausgaben und -kommentaren und (wenigen) Kirchenväterausgaben steht das große Gebiet der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts (530 Titel). Hier finden sich, neben den allgemeinen kirchengeschichtlichen Werken und gedruckten Konzilsakten vor allem zahlreiche interessante Broschüren zu den Kölner Wirren 1837/40.

Dogmatische und moraltheologische Schriften (230 Titel), Katechetik (180 Titel) und Asketik (150 Titel) schließen sich an.

Philosophie und Pädagogik sind mit 170 Titeln zwar etwas schwächer vertreten, doch finden sich hier interessante Titel zur Logik, Staatsphilosophie und Rhetorik. Auch ein Traktat von Samuel Rachel über Duelle (Lübeck: 1670) gehört hierher.

Die Inkunabeln machen immerhin 26 Titel aus.

Die größte Gruppe (1.620 Titel) stellen die Schriften zum Recht dar. Hier sind recht vollständig die bedeutendsten Vertreter des römischen und deutschen Rechts des 17. und 18. Jahrhunderts vertreten. Deutlich wird der praktische Bezug im Staats- und Ver waltungsrecht, im Handels- und Gewerberecht sowie im Verkehrsrecht. Rechtspflege und strafrechtliche Abhandlungen schließen sich an. Das Staatsrecht (Hp, ca. 90 Titel) enthält neben den Klassikern wie Hugo Grotius' De iure belli ac pacis zahlreiche Dissertationen der Universitäten Marburg und Helmstedt, außerdem niederländisches Recht und französisches Recht der Napoleonischen Zeit. Besonders hinzuweisen bleibt auf mehrere Sammelbände mit Verordnungen des ausgehenden 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts aus dem Fürstentum Münster. Das Kirchenrecht (195 Titel) beschließt diese wertvolle Sammlung.

Die Kameralistik und die Staatswissenschaften sind mit 135 Titeln vertreten. Einen wichtigen Teil nimmt die Land- und Forstwirtschaft ein. Zwar sind "nur" 190 Titel vorhanden, doch befinden sich darunter Werke der Hausväterliteratur, Schriften zur Gartenbaukunst und zur Obstbaumpflege, Kochbücher und Literatur zur Reitkunst, außerdem zum Forstwesen und zur Jagd. Die kleine Gruppe Militaria (ca. 50 Titel) enthält Schriften aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, daneben einige Belagerungsschriften aus dem 17. Jahrhundert.

Die Sprachwissenschaft umfasst 220 Titel, vor allem Wörterbücher und Grammatiken. Die Literaturwissenschaft umfasst 1040 Titel und nimmt damit einen bedeutenden Platz ein. Der Kanon lateinischer Autoren ist nahezu vollständig in zweisprachigen Ausgaben oder deutschen Übersetzungen vertreten. Vereinzelt sind Schriften der Neulateiner und Humanisten zu finden. Bei der deutschen Literatur (ca. 350 Titel) dominieren die Ausgaben des 19. Jahrhunderts, jedoch enthält sie auch zahlreiche ältere Schriften. Hervorhebung verdienen zehn außerordentlich seltene Theaterhefte (Periochen) des Collegium Societatis Jesu / Gymnasium Paulinum Münster aus den Jahren 1713–1717. Die schöne englische Literatur (70 Titel) ist vorwiegend in Übersetzungen, die schöne Literatur der romanischen Länder (110 Titel) vorwiegend in der Originalsprache vorhanden.

Die Literatur zu den Künsten (ca. 530 Titel) macht einen weiteren Schwerpunkt der Sammlung aus. Hier finden sich: Kataloge von Kunstsammlungen, Beschreibungen von Raritätenkabinetten, Werke zur Architektur, Malerei und Glyptik, Künstlerbiographien und Kunstreiseführer.

Auch die Sachgruppe Geographie ist reich bestückt (280 Titel). Hier fallen vor allem die zahlreichen Reisebeschreibungen (190 Titel) auf.

Die übrigen Sachgruppen enthalten zwar quantitativ sehr viel weniger, dafür aber hoch interessantes Schrifttum: Mathematik und Naturwissenschaften (100 Titel), Astronomie und Astrologie (20 Titel, darunter Kometenprognostiken), Naturgeschichte (50 Titel), Tierbücher (30 Titel), Kräuterbücher (20 Titel), Physikalische, chemische und technische Werke (80 Titel, darunter eine Anweisung zum Fruchtbranntweinbrennen von 1801). Eine relativ umfangreiche Sachgruppe Medizin (140 Titel) und eine Sammlung von Karten (50 Titel) beschließen diese wertvolle Sammlung.