Sammlung Gottlob Frege

Lieber Alfred!
Verachte die von mir geschriebenen Handschriften nicht. Wenn auch nicht alles Gold ist, so ist doch Gold darin. Ich glaube, dass manches darin noch einmal weit höher geschätzt wird, als jetzt. Siehe zu, dass nichts davon verloren geht … Es ist ein großer Teil meiner selbst, den ich Dir damit hinterlasse.
Gottlob Frege an seinen Adoptivsohn Alfred, 12.01.1925
Ein Unglücksfall, den sie mit mir empfinden werden, ist uns mit unserer Arbeit an FREGE zugestoßen. Die Ausgabe seiner kleinen Schriften, die ich mit Einschließung des ganzen Nachlasses in mehreren Jahren vorbereitet hatte, ist durch den Ausbruch des Krieges verhindert worden. Ich habe das kostbare Material unserer Universitäts-Bibliothek zur Sicherstellung übergeben. Es ist restlos verbrannt. Ich habe nur die Durchschläge retten können, die ich für alle Fälle zu meinen eigenen Papieren genommen hatte.
Heinrich Scholz an Bertrand Russell, Münster, 24.05.194[7]
Gottlob Frege (Schwarzweißfotografie)
© ULB

Zur Person

* 8. November 1848 in Wismar
† 26. Juli 1925 in Bad Kleinen

Friedrich Ludwig Gottlob Frege wuchs in Wismar auf, wo sein Vater als Lehrer und Direktor ein Lyzeum leitete. Nach dem Abitur studierte Frege zuerst in Jena, dann in Göttingen. Dort schrieb er 1873 seine Doktorarbeit Über eine geometrische Darstellung der imaginären Gebilde in der Ebene.

Gottlob Frege kehrte an die Universität Jena zurück und habilitierte 1874 Über Rechnungsmethoden, die sich auf eine Erweiterung des Größenbegriffes gründen. Danach arbeitete er als Privatdozent. 1879 erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen Professor, 1895 wurde er zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt, 1896 wurde Frege ordentlicher Honorarprofessor.

Der Mathematiker Gottlob Frege war ein Mitbegründer der analytischen Philosophie und modernen Logik. Seine sprachphilosophischen Betrachtungen beeinflussten u. a. Ludwig Wittgenstein und Bertrand Russell. Mit seinem Werk schuf er Grundlagen für die heutige Computertechnik und Informatik.

Zur Sammlung

Prof. Heinrich Scholz erhielt 1935 den wissenschaftlichen Nachlass Gottlob Freges von dessen Adoptivsohn Alfred Frege als Leihgabe mit der Auflage, den Nachlass nach Bearbeitung zur dauerhaften Aufbewahrung an die Universitätsbibliothek Münster zu übergeben. Der Nachlass wurde zuerst im Seminar (später Institut) für Mathematische Logik und Grundlagenforschung aufbewahrt. Die von Heinrich Scholz beabsichtigte Edition der Werke und des wissenschaftlichen Briefwechsels Gottlob Freges kam vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zustande.

Die wertvollen Originalmanuskripte aus Freges Nachlass wurden während des Zweiten Weltkriegs zerstört, erhalten blieben lediglich Duplikate von maschinenschriftlichen Abschriften, die Heinrich Scholz vor dem Krieg anfertigen ließ und mutmaßlich in seiner Privatwohnung aufbewahrte. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass die wertvollen Frege-Dokumente in den letzten Kriegstagen in der Universitätsbibliothek Münster vernichtet wurden. Neue Hinweise lassen jedoch darauf schließen, dass sowohl der Nachlass Frege als auch der Nachlass des bedeutenden Mathematikers und Logikers Ernst Schröder (1841–1902) am 10. Oktober 1943 im Seminar von Heinrich Scholz bzw. in einem dazugehörigen Luftschutzkeller – in der alten Universität am Domplatz – zerstört wurden. Heinrich Scholz hat nach Kriegsende angegeben, den Nachlass Frege nach der Zerstörung seines Seminars zur Sicherung an die Universitätsbibliothek Münster übergeben zu haben. Die UB wurde allerdings am 10. Oktober 1943 ebenfalls so schwer zerstört, dass diese Aussage höchstwahrscheinlich nicht den Tatsachen entspricht.

Schwarzweißfotografie vom zerstörten Lesesaal
Der Lesesaal der Universitätsbibliothek nach den Bombenangriffen vom 10.10.1943
© Public Domain Mark 1.0
Schwarzweißfotografie vom zerstörten Katalograum
Der Katalograum der Universitätsbibliothek nach den Bombenangriffen vom 10.10.1943
© Public Domain Mark 1.0

Außerdem schrieb Heinrich Scholz über die Zerstörung seines Seminars am 28. Oktober 1943 in einem Brief an Max Bense:

Der Luftschutzkeller mit den kostbarsten Dingen, vor allem den Frege-Manuskripten, ist erst recht so eingestürzt, dass bis heute noch nicht zu erkennen ist, ob überhaupt etwas gerettet ist, oder nicht.

Nach dem Tod von Heinrich Scholz wurden in seinem Nachlass noch auffindbare Frege-Kopien zu einem Frege-Archiv zusammengefasst, das zu Editionszwecken für einige Jahre nach Konstanz abgegeben und später nach Münster zurückgeholt wurde – allerdings nicht mehr vollständig. Teile der Vorkriegskorrespondenz von Heinrich Scholz mit Verlagen bezüglich einer Frege-Edition sollen sich mittlerweile im Philosophischen Archiv der Universität Konstanz befinden.

Im Jahr 2018 hat das Institut für Mathematische Logik und Grundlagenforschung den Nachlass Heinrich Scholz und das Frege-Archiv zur Erschließung und Aufbewahrung an die Universitäts- und Landesbibliothek Münster übergeben. Das Frege-Archiv, soweit es rekonstruiert werden konnte, wurde umbenannt in Sammlung Frege. Diese ist zusammen mit dem Nachlass Scholz in einer Findliste erschlossen und enthält in 45 Archivkapseln folgende Dokumente:

  • Werkmanuskripte (Frege)
  • Korrespondenz (Frege)
  • Drucke (Frege)
  • Lebensdokumente (Frege)
  • Korrespondenzen betr. Frege-Archiv
  • Publikationsunterlagen (Korrespondenzen, Textentwürfe, Druckfahnen etc.)

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