Spiritualität und Frömmigkeit – Kapuzinerbibliotheken in der ULB

Franz von Assisi: Regula und Testament, samt den Constitutionibus der mindern Brüder deß heiligen Francisci Ordens, die Cappuciner genannt. – Innsbruck: Wagner 1666.
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Zu den bedeutenden historischen Sammlungen gehören mehrere Deposita, welche die Deutsche Kapuzinerprovinz der ULB Münster anvertraut hat. Die Kapuziner verdanken ihren Ursprung einer Reformbewegung, wie sie in der Franziskanischen Familie immer wieder auftrat. Dabei ging es wie bei allen Reformen um die möglichst große Nähe zu den Lebensidealen des Franziskus, vor allem im Blick auf die gelebte Armut sowie den eremitisch kontemplativen Zug der franziskanischen Lebensweise. So wurde die Regel des Franziskus auch für die Kapuziner zur Grundlage ihres Weges.

Es liegt auf der Hand, dass die Zeit der Ablösung und Selbstfindung für die junge Reformbewegung der Kapuziner eine nach innen und außen sehr bewegte, auch emotional belastete Zeit war. Sogar ihr franziskanischer Ursprung wurde in Frage gestellt. So sah sich Papst Urban VIII. genötigt, in einem Schreiben vom 28. Juni 1627 zu betonen, dass die Kapuziner echte Minderbrüder seien und im Blick auf ihren Ursprung fest in der franziskanischen Tradition stünden.

Die Annalen des Zacharias Boverius berichten über diese schwierigen Anfangszeiten – freilich auch in einer zum Teil sehr polemischen Schärfe, so dass in vorhandenen Büchern entsprechend Stellen überklebt werden mussten bzw. eine Neuauflage seines Werkes an die Einbindung zahlreicher Korrekturen gebunden wurde.

Ganz im Sinne des Franziskus widmeten sich die Brüder intensiv dem betrachtenden Gebet, das sie auch als Quelle ihres apostolischen Wirkens, vor allem ihrer Predigttätigkeit, betrachteten. Entsprechend gewichtete sich der Buchbestand auch in den Kapuzinerkonventen in Westfalen bis zur Säkularisation.

Franziskus von Assisi (1181–1226) gehört zu den bedeutendsten Ordensgründern des 13. Jahrhunderts. Zunächst wusste er sich ganz persönlich zur Nachfolge Jesu Christi berufen, so wie er es im Evangelium vorgegeben fand. Die schnell wachsende Zahl der Brüder, die seinem Beispiel folgen wollten, erforderte jedoch bald nähere Ordnungen und Vorgaben für das Zusammenleben. Sie verdichteten sich in der Regel des Franziskus über die Lebensweise der Minderen Brüder (Regel, 1. Kapitel), die am 29.11.1223 von Papst Honorius III. anerkannt wurde.

Diese Regel – sie umfasst 12 kurze Kapitel – ist ein geistliches Dokument, eine drängende Mahnung des Franziskus an seine Brüder, ihrem Versprechen, nach dem Evangelium zu leben, treu zu bleiben.

Das gleiche gilt für das Testament des Franziskus, das im Jahre 1226 kurz vor seinem Tod entstanden ist als »Erinnerung, Ermahnung und Aufmunterung, damit wir die Regel, die wir dem Herrn versprochen haben, besser katholisch beobachten« (Testament). Beide Texte sind bis heute die geistliche Grundordnung aller franziskanischen Ordensgemeinschaften, also auch des Reformordens der Kapuziner, der am 3.7.1528 von Papst Clemens VII. bestätigt wurde.

Um das geistliche Erbe des Franziskus unverfälscht und zeitgemäß zugleich zu bewahren, bedurfte es immer wieder näherer Entfaltungen, Erklärungen und Konkretisierungen der Regel. Das geschah auf den Generalkapiteln (Versammlungen) der Brüder in den sog. Konstitutionen (Anordnungen). Das vorliegende Buch enthält die Konstitutionen der Kapuziner in der Fassung von 1643, u.a. mit klaren Anweisungen für eine Studienordnung und für die menschliche und religiöse Qualifikation der Studenten (Kap. 9). Die ersten Konstitutionen stammen – nach den vorausgegangenen sog. Verordnungen von Albacina 1529 – aus dem Jahre 1536, die letzte Neufassung erfolgte im Jahr 1990.

Im Anschluss an die Konstitutionen von 1643 folgen genaue Anweisungen und liturgische Texte zur Einkleidung der Novizen (Ordensanfänger), zur Ablegung der Profess (Gelübde), zur Wahl der Oberen und zur Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Auch hier wird deutlich, dass es sich bei diesem Buch um eine Art Handbuch zum praktischen Gebrauch der Brüder handelt, in Fragen ihrer Lebensweise, aber auch in Fragen rechtlicher Art. Am Schluss findet sich ein ausführliches Stichwortverzeichnis zu den Konstitutionen.

Titelblatt Regula und Testament
Abb.: Das Titelblattt von Regula und Testament weist mit dem Vorbesitzervermerk Servio Bibliothecae Patrum Missionariorum Clemenswerdae ab anno 1751 auf das 1739 von Kurfürst Clemens August (als Teil des fürstlichen Jagdschlosses) gegründete Kloster Clemenswerth hin.
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Der Kupferstich auf dem Titelblatt zeigt, wie Franziskus von Christus die Regel empfängt. Das aufgeschlagene Buch trägt den lateinischen Text: Regula et Vita Fratrum Minorum (Regel und Leben der Minderen Brüder). Die lateinische Umschrift deutet das Bild: Sanctus Pater Franciscus Religionis Seraphicae Regulam accipit (Der Heilige Vater Franziskus empfängt die Regel des Seraphischen Ordens). Die eine Hand Christi zeigt auf das von zwei Engeln getragene Buch, auf die Regel, die andere Hand weist Franziskus an, diese Regel den Brüdern als gültige, von Christus legitimierte Richtschnur ihres Lebens vorzulegen.

Es handelt sich um eine anschauliche Darstellung der Überzeugung des Franziskus, dass seine Lebensweise nicht von ihm erfunden, sondern ihm »vom Herrn gegeben« (Testament) wurde. Sie ist zugleich ein deutlicher Hinweis an jene Brüder, die die Regel des Franziskus für zu streng hielten und sie deshalb nur für ihn, nicht für sich selbst als verpflichtend ansahen.

Literaturhinweis

Frömmigkeit & Wissen. Rheinisch-Westfälische Kapuzinerbibliotheken vor der Säkularisation, hg. von Reinhard Feldmann u.a., Münster: ULB 2003.