Geraubte Bücher gehen zurück
26 überwiegend schmale Bände sind es, die von dem Schicksal der Freimaurerloge „Zur goldenen Mauer“ künden. 1933 löste sich die Bautzener Gruppe angesichts der Repressalien durch die Nationalsozialisten selbst auf, die Bibliothek der humanitären Vereinigung wurde über ganz Deutschland verteilt. 26 Bücher kamen in die Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB), die gestern (25. Oktober) Axel Pohlmann, Großmeister der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, zurückgegeben wurden. Er wird sie am 3. November bei der Neugründung der Bautzener Loge übergeben.
„Der ideelle Wert der Bücher geht aus unserer Sicht weit über die bibliothekarische Bedeutung hinaus“, so Pohlmann. Die Freimaurer-Bücher sind die ersten, die die ULB an ihren rechtmäßige Besitzer zurückerstatten kann. Möglich ist das dank der Arbeit von Elke Pophanken, Diplom-Bibliothekarin in der ULB. Seit 2006 arbeitet sie die Zugangsbücher der ULB zwischen 1933 und 1945 durch, um Raubgut zu finden. Ein erster Anhaltspunkt ist die Frage, von wem ein Buch erworben worden ist. „Wenn die Bücher von der Reichstauschstelle oder anderen staatlichen Einrichtungen geschenkt wurden, liegt der Verdacht sehr nahe , dass sie unrechtmäßig erworben wurden“, sagt Pophanken.
Die Freimaurer-Bände mit Titeln wie „Die Hohenzollern und die Freimaurerei“ oder „Lieder und Gesänge für Freimaurer“ sind dafür ein gutes Beispiel: Sie wurden der ULB zwischen 1934 und 1936 von der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden geschenkt. Rund 55.000 Zugänge in der Zeit zwischen 1933 und 1945 muss Pophanken prüfen, davon sind etwa 26.000 als Geschenk ausgewiesen. Darunter waren auch viele verbotene Bücher, denn als Landesbibliothek wurde die ULB für sie als Depot genutzt. Gekennzeichnet waren diese Bücher mit einem „VB“ für „Verbotenes Buch“. Dieses Kürzel wurde nach 1945 weiter verwendet – für nationalsozialistische Literatur, diesmal allerdings in der Bedeutung von „Verwahrbestand“.
Nach 1945 bestand kein Interesse, die Bücher zurückzugeben, im Gegenteil, der damalige Direktor der ULB, Dr. Christoph Weber, der im Dritten Reich in der Reichstauschstelle gearbeitet hatte, versuchte die durch Bomben zerstörte Bibliothek aus antiquarischen Beständen wiederaufzubauen. Heute weiß man, dass Antiquariate am nationalsozialistischen Bücherraub beteiligt waren. „Nach dem Krieg wurde mit denselben Menschen weiter gearbeitet, die zuvor das Raubgut eingestellt hatten“, so die Bibliothekarin. Sie fand in einzelnen Büchern Hinweise darauf, dass in ihnen nach 1945 die Zugangsnummer radiert worden war, um die Herkunft zu verschleiern. „Das zeigt, dass es durchaus ein Bewusstsein für das begangene Unrecht gab“, meint Pophanken.
Die Restitution, also die Rückgabe der Bücher, geht schleppend voran. Das liegt nicht nur daran, dass es häufig schwierig ist, die ursprünglichen Besitzer und deren Nachkommen oder Rechtsnachfolger zu finden. „Das Thema ist erst seit einigen Jahren in den Köpfen und in NRW gibt es nur wenige Initiativen. Viele Bibliotheken scheuen wohl den sehr hohen Aufwand“, sagt Reinhard Feldmann, Leiter des Dezernates Historische Bestände. Dabei müssten sich alle Bibliotheken, auch die erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten, darüber im Klaren sein, dass Raubgut in ihrem Bestand zu finden sein könnte. „Denn die Bücher werden noch heute weiterverteilt, sei es durch Tausch zwischen den Bibliotheken oder durch Antiquariate.“
Die Arbeit wird Pophanken mit Sicherheit nicht ausgehen. Wie eine Detektivin prüft sie, was rechtmäßig in der ULB lagert, was von den Nationalsozialisten gestohlen wurde. 1934 beispielsweise brachte sich der Mediziner Prof. Dr. Paul Krause um, weil er von seinen nationalsozialistisch eingestellten Studierenden boykottiert wurde. Seine medizinischen Werke vermachte er der Universität. Allerdings landeten nicht nur die, sondern alle seine Bücher in der ULB.
Bei dieser Arbeit merkt man, dass nahezu alle Bereiche des Lebens von den Repressalien der Nationalsozialisten betroffen waren“, erzählt sie. So findet sich im Bestand mit der Nummer 1822 beispielsweise das „Handbuch des öffentlichen Lebens“, das der ULB 1936 durch die Ortspolizeibehörde Bielefeld übergeben worden war. Geraubt wurde es der SPD Bielefeld, die bislang allerdings noch kein Interesse gezeigt hat, es zurück zu bekommen. Interesse haben dagegen die Nachfahren von Pater Friedrich Muckermann gezeigt, der die Zeitschrift „Der Gral“ herausgab, ins Exil ging und 1946 in der Schweiz starb. Die noch erhaltenen Bände seiner Bibliothek sollen als nächstes zurückgegeben werden.