„Wir im Krieg“

So lautete der Titel einer Filmdokumentation, die anlässlich des 80. Jahrestages des Weltkriegsbeginns am 1. September 1939 vor kurzem im ZDF ausgestrahlt wurde. Wer wissen möchte, wie der westfälische Zollbeamte Paul Stöcker (1914–2010) den Kriegsbeginn als Reserveoffizier erlebte, kann das in seinen Tagebüchern nachlesen und dazu auch in Stöckers Kriegs-Fotoalben blättern, die von der ULB Münster in den Digitalen Sammlungen veröffentlicht wurden.

historisches Foto
Der „Ankauf“ von Fahrzeugen in Bielefeld (Anfang September 1939)
© ULB

Stöcker beschreibt sehr anschaulich die Mobilmachung in der Lauter-Kaserne in Bielefeld, mit dem Formieren von Artillerieabteilungen und dem Aufstocken des militärischen Fuhrparks durch Privat-Pkw: Der Wert der Zivilfahrzeuge musste geschätzt werden, anschließend erhielten sie eine einheitlich blau-graue Tarnfarbe.

Danach wird gen Westen ausgerückt mit dem IV. / Art. Regt. 254. Paul Stöcker notiert dazu:

Am 3.9.1939 setzte sich die neu aufgestellte Artillerieabteilung in Bewegung, und eine pferdebespannte Truppe rückte in Bielefeld nach. Die lange Fahrzeugschlange rollte über Gütersloh, Münster und Wesel, erstes Ziel war das Dorf Sonsbeck hinter Wesel. Zwei Tage vorher hatten wir Hitlers historische Rede gehört „ab 5.35 Uhr wird zurückgeschossen!“ und ihm geglaubt, daß er nur zurückschießen ließ. Für meinen Bruder Werner in Königsberg hatte damit der Krieg begonnen. Nun aber stellte sich heraus, daß Frankreich und Großbritannien ihrerseits dem Deutschen Reich den Krieg erklären würden. Mein Vater mag vielleicht 1914 begeistert in den Krieg gezogen sein, um Kaiser und Reich zu schützen (ich weiß es nicht); nun aber war von Begeisterung keine Spur. Es war ein Unbehagen gegenüber einer ungewissen Zukunft, deren Wirklichkeit man sich noch nicht vorstellen konnte. An diesem Tag in Sonsbeck habe ich mich entschlossen, ein Tagebuch zu führen.
[Aus Paul Stöckers „Erinnerungen“ 1914 – 1954]

Paul Stöcker hat seine handschriftlichen Tagebuchaufzeichnungen nach dem Zweiten Weltkrieg sorgfältig aufbereitet und per Schreibmaschine abgetippt, so dass es keine Leseschwierigkeiten gibt. Seine Fotoalben jedoch sind in Sütterlin beschriftet. Anlässlich der Digitalisierung der Alben im Sommer 2016 wurden die Bildunterschriften transkribiert und sind damit auch für Personen lesbar, die Stöckers Handschrift nicht entziffern können.