023 LAPIE, PIERRE:
Atlas classique et universel de géographie ancienne et moderne : composé pour l’instruction de la jeunesse et notamment pour les écoles militaires et les lycées / par P. Lapie. – Paris : Magimel [u.a.], 1812. – [3], 39 Bl. : Ill., 38 Kt.
Signatur: 2


Als erstes gedrucktes geographisches Kartenwerk erschien 1570 in Antwerpen das »Theatrum Orbis Terrarum« des Abraham Ortelius. Die Bezeichnung »Atlas« für eine gedruckte, meist zu einem großformatigen Buch gebundene Kartensammlung wurde erstmals von dem ursprünglich aus Flandern stammenden und seit 1552 in Duisburg ansässigen Kartographen Gerhard Mercator (eigentl. G. Kremer, 1512-1594) verwendet. Mercator hatte ein vielbändiges kosmographisch-geographisches Tafel- und Textwerk geplant, das jedoch unvollendet blieb. Der erste Band »Kosmographische Gedanken über die Erschaffung der Welt und ihre kartographische Gestalt« erschien posthum im Jahr 1595. Neuere Forschungen ergaben, daß Mercator die Bezeichnung »Atlas« vermutlich nicht nach dem Namen des Titanen der griechischen Sage wählte, der als Strafe für seine Auflehnung gegen die olympischen Götter dazu verdammt worden war, auf seinen Schultern das Himmelsgewölbe zu tragen. Stattdessen soll die Bezeichnung von dem – ebenfalls mythischen – himmelskundigen König von Mauretanien gleichen Namens hergeleitet sein, dem Eusebius und Diodor den Entwurf des ersten Himmelsglobus zugeschrieben haben.
Eine erste Blüte erlebte die Atlaskartographie im Zeitalter der Entdeckungen, zunächst in den Niederlanden, später, im 17. und 18. Jahrhundert, in Frankreich.
Bei dem 1812 in Paris erschienenen »Atlas classique et universel de géographie ancienne et moderne« handelt es sich um einen historischen Schulatlas. Herausgeber war der französische Militärgeograph Pierre Lapie (* 17. 8. 1777 oder 1779 in Méziéres, † 30. 12. 1850 in Paris). Lapie hatte als Ingenieuroffizier am napoleonischen Italienfeldzug teilgenommen und wurde 1814 zum Direktor des königlichen »Cabinet topographique« ernannt. Seine militärische Karriere gipfelte 1830 in der Beförderung zum Oberst.

Die aufgeschlagene Karte zeigt das historisch-politische Europa des Jahres 1812 mit dem Grenzverlauf der deutschen Rheinbundstaaten und des Großherzogtums Warschau. Die »Confédération du Rhin« war am 12. 7. 1806 in Paris unter dem Protektorat Napoleons als Bund zwischen zunächst 16 süd- und südwestdeutschen Fürsten geschlossen worden. Am 1. August 1806 erklärten die Mitgliedstaaten gegenüber dem Reichstag in Regensburg förmlich ihren Austritt aus dem Reichsverband. In der Folge legte Franz II. die universelle deutsche Kaiserwürde nieder. Damit war das Ende des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besiegelt. Die Mitgliedschaft in dem als Defensiv- und Offensivbündnis konzipierten Staatenbund verpflichtete die Rheinbundfürsten dazu, große Truppenkontingente für die Unternehmungen der »Grande Armee« unter französischen Oberbefehl zu stellen. Als Gegenleistung erhielten sie Standeserhöhungen – z. B. Bayern, Sachsen und Württemberg zu Königreichen – und wurden mit Gebietserweiterungen aus der Mediatisierung kleiner zuvor reichsunmittelbarer Herrschaften entschädigt. Die repräsentative Führungsrolle als »Fürstprimas« des Bundes übernahm der letzte Kur-Erzkanzler des Reiches, Karl Theodor von Dalberg.
Das Gebiet des Rheinbundes umfaßte anfangs etwa ein Drittel, später etwa die Hälfte des ehemaligen Reichsgebietes. Nach der vernichtenden Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt (14. 10. 1806) traten der Konföderation des sog. »dritten Deutschland« mit Ausnahme Preußens und Österreichs nahezu alle restlichen mittel- und norddeutschen Staaten bei. Auch das im Frieden von Tilsit (9. 7. 1807) als Satellitenstaat entstandene Großherzogtum Warschau und das aus mehreren Territorien zusammengefügte Kunstprodukt »Königreich Westfalen« traten dem Rheinbund bei. Auf dem Höhepunkt der napoleonischen Herrschaft über Europa bestand der Rheinbund schließlich aus fast 40 Einzelstaaten mit knapp 15 Millionen Einwohnern.

Als der »Atlas classique et universel« im Jahr 1812 erschien, sollte das historisch-politische Gebilde »Rheinbund« allerdings nur noch kurze Zeit Bestand haben. Es zerfiel nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) im Verlauf der Befreiungskriege. Die ehemaligen Rheinbundfürsten beeilten sich, durch den Übertritt zur antinapoleonischen Allianz auf die Seite der Sieger zu wechseln.
V.D.