056 HOBBES, THOMAS:
[Elemens philosophiques du citoyen] Elemens Philosophiqves Du Citoyen : Traicté Politiqve, où Les Fondemens de la Societé civile sont descouverts / Par Thomas Hobbes, Et Traduicts en François par un de ses amis. - Amsterdam : Blaeu, 1649. - [27] Bl., 246, 144 S. ; 8º
EST: Elementa philosophica de cive <franz.>. - Nebent.: Les Fondemens De La Politiqve. -Vorlageform des Erscheinungsvermerks: De l’Imprimerie de Iean Blaev
Signatur: 1359


Im Jahre 1642 erschien in Paris ein Buch mit dem Titel De cive. Und aus gutem Grund erschien das von dem englischen Philosophen Thomas Hobbes verfasste Werk zunächst anonym. Denn Hobbes war bereits 1640 von England ins Exil nach Frankreich geflohen, wo er zehn Jahre seines Lebens verbringen sollte. In England wütete der konfessionelle Bürgerkrieg, der auch für Hobbes zur existentiellen Bedrohung geworden war. Aber vielleicht war für die anonyme Verfasserschaft auch sein von kirchlichen und staatlichen Autoritäten durchaus angreifbares negatives Menschenbild ausschlaggebend, ein Menschenbild, das Hobbes selber in der nach antikem Vorbild formulierten Wendung »homo homini lupus« zum Ausdruck brachte.


Das Buch De cive war als dritter und abschließender Teil eines dreibändigen Systems der Philosophie geplant worden, dessen beiden ersten Bände allerdings erst einige Jahre später erscheinen sollten. Der Grund dafür dürfte in Hobbes überaus großem Interesse für die Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen der frühen Neuzeit zu suchen sein, die zuerst das Werk über den Bürger hervorgebracht hatte. Bei dem in der Bibliothek Westerholt vorhandenen und hier vorgestellten Band handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Lateinischen ins Französische von Hobbes’ Freund Samuel Sorbière. Der Band ist heute nur noch als Fragment erhalten. Da z. B. der Bucheinband vollständig fehlt, sind umfangreiche restauratorische Maßnahmen erforderlich.


Hobbes’ philosophisches Denken geht von einer sensualistisch-materialistisch-empirischen Deutung des Menschen und seiner Stellung in der Welt aus und wird durch den Begriff »Körper« charakterisiert. Alle empirisch feststellbaren Tatsachen aus den Bereichen der Physik, der Anthropologie, der Geschichte und der Gesellschaft werden als Körper begriffen. Daher kann Hobbes diesen Begriff auch auf sämtliche organische, anorganische und soziale Gebilde übertragen. Soziale Prozesse laufen nach Hobbes stets nach den Bewegungsgesetzen der Aktion und Reaktion ab. Macht erzeugt demnach immer auch eine Gegenmacht, die jedoch nicht symmetrisch zu denken sei, sondern kompensatorisch. So wird etwa die repressive Macht eines souveränen Herrschers durch die Garantie auf Privateigentum und Wettbewerb untereinander oder Privatisierung des Denkens ausgeglichen. Die auf Rationalität basierende politische Philosophie gewinnt durch Hobbes zunehmend an Integrität und wird richtungsweisend für die neuzeitliche Entwicklung der bürgerlichen Eigentumsgesellschaft.

Hobbes’ schon erwähnte pessimistische Anthropologie drückt sich am besten in seinem Satz »homo homini lupus«, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, aus. Zeit seines Lebens beschäftigte sich der wohl unbequemste politische Denker Englands mit diesem negativ deterministischen Menschenbild, das von der Vorstellung ausging, der Mensch sei in einem permanenten Daseinskampf den anderen Menschen schutzlos ausgeliefert, sofern nicht die Macht im Staate durch staatsrechtliche Regelungen eindeutig zugewiesen würde. Hobbes sieht daher die Aufgabe individueller Freiheitsrechte zugunsten einer staatlichen Souveranität durch einen so genannten Gesellschaftsvertrag als notwendig an, um den Zustand des Krieges eines jeden gegen jeden zu beenden. Diese Entäußerung individueller Rechte kann dabei aber nur verstanden werden als Selbstbindung des Einzelnen an den Staat, der allerdings individuelle Freiheit erst durch Entbindung des Gewissens vom Anspruch auf absolute Macht ermöglicht.


Grundlegend für diese Haltung ist die Situation des Bürgerkriegs, die Hobbes selbst erlebt hat. Die erste Maxime des bürgerlichen Staates ist für ihn demnach auch das Vernunftgebot des Friedens, dem jedoch die Analyse der menschlichen Existenz zu widersprechen scheint. Obwohl eine mechanistische Konzeption vom Staate, die Hobbes in seinem Werk vertritt, indem er seine richtige Konstitution vom Individuum deduziert, also vom Besonderen auf das Allgemeine schließt, in der Realität zu kurz greift, darf man doch das große Verdienst des englischen Empiristen in der Begriffsbildung der Individualisierung sehen. Wenn die Neuzeit den Menschen autonom bestimmt, ohne dabei sogleich sittliche Implikationen im Blick zu haben, geht diese Entwicklung ganz entscheidend auf Thomas Hobbes zurück.
M.M.