102 GOFFINÉ, LEONHARD:
[Christkatholische Handpostille oder Unterrichts- und Erbauungsbuch, das ist: kurze Auslegung aller sonn- und festtäglichen Episteln und Evangelien] Des ehrw. P. Leonhard Goffine ... christkatholische Handpostille oder Unterrichts- und Erbauungsbuch, das ist: kurze Auslegung aller sonn- und festtäglichen Episteln und Evangelien : sammt daraus gezogenen Glaubens- und Sittenlehren. - 5. Aufl., mit Meß-Erklärung, Gebeten, einer Beschreibung von Jerusalem und Anh. von Alban Stolz, neue ill. Prachtausg., mit Titelbild und Farbent. - Freiburg im Breisgau [u.a.] : Herder, 1882. - XII, 644 S. : Ill.
Signatur: 2069


Beinahe zur Standardlektüre vieler frommer Christen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gehörte eine Hand- oder Hauspostille. Dies ist ein Buch, in dem die Lesungs- und Evangelientexte der Sonn- und Feiertage sowie ergänzende erbauliche Auslegungen in Predigtform enthalten sind. Bei der vorliegenden Ausgabe der Christkatholischen Handpostille des Prämonstratensers Leonhard Goffiné (1648 - 1719) handelt es sich um eine Prachtausgabe des 19. Jahrhunderts, deren grüne Gewebeeinbandeckel mit einer schönen Goldprägung, Unterlegungen und mit weiteren Prägungen versehen ist. Der mit Leder eingebundene Buchrücken ist ebenso mit einer schönen Goldprägung und Prägedrucken ausgestattet.


Goffiné, der 1667 in Steinfeld / Eifel in den Prämonstratenserorden eingetreten war, hatte sich einen guten Ruf als geistlicher Schriftsteller bzw. religiöser Volksschriftsteller erworben. Seine theologischen Studien hat er im »Collegium Norbertinum« in Köln absolviert, bevor er 1675 die Priesterweihe empfing. Danach folgten Seelsorgeeinsätze bei Prämonstratenserinnen in Dünnwald und Ellen und anschließend in einigen Pfarren des Fürstbistums Münster. Nachdem er für einige Zeit im Prämonstratenserstift zu Clarholz gewirkt hatte, ging er von 1685 - 1691 nach Coesfeld, um in der dortigen Pfarrei St. Lamberti das Amt des Vizekurators zu übernehmen. Sowohl in Clarholz als auch in Coesfeld konnte Goffiné feststellen, dass das religiös-sittliche Leben der Bevölkerung eher mangelhaft war, obwohl die beiden Orte zum Gebiet des münsterischen Fürstbistums gehörten, also nicht etwa von weltlicher Herrschaft bestimmt wurden. Goffiné rügt in seinen Briefen und Predigten viele Gewohnheiten der Landbevölkerung, die sich offensichtlich ausschließlich am Brauchtum orientierte und Begriffe wie Sittlichkeit und christliches Gewissen kaum kannte. Erstaunlich aktuell mutet dieser Umstand an: Man ging in den sonntäglichen Gottesdienst, weil man eben immer dorthin gegangen war und nicht etwa deshalb, weil dort eine Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten und dadurch eine Intensivierung des christlichen Lebens hätte erfolgen können.


Goffinés Haltung zu diesem zeittypischen Missstand war geprägt von einem augustinischen Pessimismus, der durch die eher trübe Stimmung des 17. Jahrhunderts vielleicht noch verschärft wurde. Theologisch stand Goffiné ganz hinter den Lehren des für das katholische Leben so wichtigen Reformkonzils von Trient, das er in seiner Handpostille dann auch häufig zitiert. Es stand in Goffinés Absicht, mit diesem Buch einen Beitrag zur religiösen Bildung der Bevölkerung zu leisten, indem er einen liturgischen Leitfaden für die Sonn- und Festtage vorlegte. Dabei griff er auf den schon seit vielen Jahren bewährten Typus der Postille zurück, die den Anfang bei der Übersetzung der Evangelientexte in die Muttersprache nimmt. Zu den deutschen Texten treten dann predigtartige Glossen hinzu, die gegenüber den liturgischen Erklärungen den breiteren Raum einnehmen. Bedenkt man aber, dass selbst die theologische Bildung des Klerus im 17. Jahrhundert z. T. äußerst defizitär war, konnte Goffiné kaum erwarten, dass seine Handpostille die beabsichtigte Wirkung hatte, zumal die Landbevölkerung selten des Lesens mächtig war. Dennoch setzte er ganz auf den Bereich der Familienseelsorge, wenn er die Erwartung zum Ausdruck brachte, die Hausväter mögen für die religiöse Unterweisung innerhalb der Familie sorgen, indem sie die sonntäglichen Evangelien gewissermaßen am Mittagstisch abfragten. Zieht man die Forderung Goffinés hinzu, die Christgläubigen sollten das, was sie im Gottesdienst feiern, auch verstehen, so verweist die Handpostille bereits auf eine Entwicklung, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Namen »Liturgische Bewegung« einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat. So erstaunt es vielleicht nicht mehr, dass die Handpostille eine außerordentlich große Popularität erfahren sollte, zumal es ihr Vorzug war, die Menschen mit einfachen, allgemein verständlichen Worten und Integration volkstümlicher Ideen zu erreichen.

Zu diesem Goffiné zuzurechnenden Erfolg tritt im 18. und 19. Jahrhundert, in denen seine Handpostille oftmals wieder neu aufgelegt wurde, der allgemeine Bedeutungszuwachs katholischer Bücher in der vom inzwischen theologisch gebildeteren Klerus durchgeführten Seelsorge in den Gemeinden hinzu. Dabei zeigen die späteren Ausgaben des 19. Jahrhunderts, dass sich die Bearbeiter trotz einiger Abweichungen noch stark an der Spiritualität Goffinés orientieren und seine Terminologie übernehmen. Lediglich die inzwischen die Geistesgeschichte verändernde Aufklärung hat in den späteren Ausgaben begriffliche Spuren hinterlassen.
M.M.