Geschichte und Bestand

Aufsatz zur Sammlung Westerholt-Gysenberg

"Es wäre zu wünschen, daß dieses einzigartige Studienmaterial nicht in alle Winde zerstreut würde, sondern daß eine öffentliche Sammlung sich seiner annähme ..."

Dies schrieb der renommierte deutsche Literaturhistoriker Richard Alewyn 1951 im Auktionskatalog über die Bibliothek der Grafen von Westerholt auf Schloss Arenfels. [1]

Ein Teil des Bestandes wurde tatsächlich zerstreut. Der Auktionskatalog umfasste 1167 Titel bzw. Positionen, über 400 davon - insbesondere Reisebeschreibungen und zeitgenössische Literatur - sind durch direkten Erwerb und über den Umweg der WDR-Bibliothek in den Besitz der UuStB Köln gelangt und dort auch gesondert aufgestellt bzw. verzeichnet. [2]
Den größten Teil allerdings - ca. 2500 Titel in über 6500 Bänden hauptsächlich aus dem 18. Jahrhundert - erwarb der damalige Archivar der Stadt Bottrop, Dr. Rudolf Schetter, en bloc für gerade einmal 1300 DM. Dieser Posten wurde in einem Turm aufbewahrt und nicht auf der öffentlichen Versteigerung veräußert. Danach schlummerten die Bände im Stadtarchiv Bottrop vor sich hin und werden nun dank der finanziellen Hilfe der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung und der Stadt Bottrop durch die Arbeitsstelle Historische Bestände in Westfalen der Universitäts- und Landesbibliothek Münster formal und sachlich erschlossen, um somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

Adlige Sammelleidenschaft

Die Familie Westerholt gehörte zum sogenannten westfälischen Uradel. Urkunden zu Besitz und Ämtern im Vest Recklinghausen gehen bis in das 13. Jahrhundert zurück. Schlösser in Arenfels am Rhein, Berge bei Buer oder das in Westerholt selbst sind heute noch bekannt, mitunter als Ausflugsziel ein Begriff. [3]

Es überrascht somit nicht, in dem Bibliotheksbestand auch auf etliche Besitzeinträge aus dem frühen 17. Jahrhundert zu stoßen, etwa von Bernhard von Westerholt zu Westerholt und Wilbrink (gest. 1639) oder Hermann Hector von Westerholt (geb. 1592).

Den Grundstock für die Besonderheit der jetzt im Stadtarchiv Bottrop befindlichen Bibliothek legte jedoch im wesentlichen die Gräfin Wilhelmine Friederike von Westerholt-Gysenberg (1757 - 1820). Sie, die mit ihrem Mann Ludolf Friedrich Adolf Freiherr von Boenen (1747 - 1828) auf Schloss Berge lebte, liebte die Literatur und die Bücher. Buchungsbelege des Buchbinders Köbbing - an "Frey Frau von Boene" adressiert - oder der Buchhandlung Theissing in Münster offenbaren dort eine rege und stetige Nachfrage. Da ihr Mann nicht nur Vorsitzender der Freimaurerloge, sondern auch des neugegründeten Theatervereins in Münster war, kann man davon ausgehen, dass auch er diese Bücher gelesen und zumindest ihre Sammelleidenschaft unterstützt hat. Romane, Theaterstücke, Reisebeschreibungen, Garten- und Hauswirtschaftsbücher und auch viele Bücher zur aktuellen Politik kamen auf diese Weise zusammen.
Demzufolge sind es nicht die Klassiker und wohlfeilen Prachtausgaben, die hier ins Auge springen, sondern vielmehr der rare bis zum Teil einzigartige Fundus an Gebrauchsliteratur aus Bereichen wie der Haus- und Landwirtschaft oder der Medizin. In der Gartenökonomie für Frauenzimmer von Christine Dorothea Gürnth aus dem Jahre 1790 erfährt man, wie "in Essig eingelegte Kirschen" zubereitet werden und Justus Arnemann erteilt nützliche Ratschläge für die Selbstmedikation in seinem 1792 in Göttingen erschienenen Entwurf einer praktischen Arzneimittellehre.

Vor allem aber findet sich einfache Unterhaltungsliteratur aus einer Zeit sich neu entwickelnder Genre - man denke an den Schauerroman, den Brief- oder den historischen Roman. Nicht zuletzt dadurch bekommt die Sammlung insbesondere für Kulturwissenschaftler einen eminenten Wert, sind doch gerade derartige Bestände und Schwerpunkte mangels Sammelinteresse seitens der wissenschaftlichen Institutionen in früheren Zeiten - man denke nur an die sträfliche Vernachlässigung der sogenannten Frauenliteratur - vielfach verlorengegangen. [4]

Bibliophiler Zuwachs auf Schloss Arenfels

Der Enkel Friedrich Ludolf von Westerholt (1804 - 1869) und seine Frau Johanna geb. Charlé (1804 - 1874) ließen sich auf Schloss Arenfels bei Hönningen am Rhein nieder. Sie hatten diesen Stammsitz der Westerholt-Arenfels Linie 1849 dem in Finanznöte geratenen Grafen von der Leyen abgekauft. [5] Auf diesem Wege kamen in die Westerholtsche Bibliothek viele Bände aus deren kostbaren Besitz, was schon äusserlich an den vielen Pergament- und Lederfolianten, aufwendigen Exlibris oder Stempeln erkennbar ist. Das Zusammenwachsen beider Sammlungen, den nicht nur quantitativen Zuwachs und eine daraus folgende neue systematische Ordnung der Arenfelser Bibliothek dokumentiert ein noch erhaltener, das alte Leyensche systematische Bücherverzeichnis aus dem Jahr 1789 ablösender Katalog über die Bibliothek des Herrn Reichsgrafen von Westerhold auf Schloss Arenfels. 1875. [6]

Eine große Zahl juristischer Schriften, Dissertationen, Büchern zu Staatskunde, Prinzenerziehung und Geschichte erweitern das Spektrum der Sammlung. Auffallend viele Bücher stammen hierbei von Reichsgraf Carl Casper von der Leyen (1655 - 1739) sowie von dem Mainzer Dompropst Damian Friedrich von der Leyen (1738 - 1817) und seinem Neffen Philipp Franz von der Leyen (1766 - 1829). Darunter finden sich sehr seltene französische Titel zur Französischen Revolution und deren Vorgeschichte, etwa Jean LePrévôt de Beaumonts 1791 erschienener Bericht Le Prisonnier D'État über seine 22-jährige Haft, oder Louis Sébastiens eindrückliche Stadtbeschreibung Tableau de Paris aus den Jahren 1780 - 1788, von der sich Schiller so begeistert zeigte. Weiterhin sind zahlreiche Theaterstücke erwähnenswert, gab es doch schließlich eine verwandtschaftliche Beziehung zum Mannheimer Nationaltheaterintendanten Wolfgang Heribert von Dalberg. [7] Hierbei findet sich beispielsweise eine kurz nach der Uraufführung 1785 in Paris und gleichzeitig in Wien herausgekommene Ausgabe der heute vor allem durch die Vertonung von Mozart bekannten Komödie La Folle Journée, Ou Le Marriage De Figaro von Pierre Augustin de Beaumarchais.
Schon der bisher bearbeitete Teil dieser Schätze hat bereits das Interesse der Wissenschaft für Einzelnes geweckt und man darf berechtigt hoffen, dass noch einiges Bemerkenswerte bis zum Abschluss der Arbeiten zu Tage gefördert wird.

Text: Peter Peitz

Fußnoten

[1] Vgl. Richard Alewyn: Zur Arenfelser Bibliothek. In: Bibliothek und Waffensammlung Schloß Arenfels: Versteigerung vom 13. bis 15. September 1951. Köln 1951 (Kölner Buch- und Graphikauktionen. Nethe & Venator; 8/9), S. VII - VIII
[2] Nicht nur im Hinblick auf die Kölner Westerholt Sammlung, sondern zur Westerholt'schen Bibliothek im allgemeinen ist auf die vorzügliche Arbeit von Alice Rabeler hinzuweisen: Die Sammlung Westerholt: Geschichte und Analyse ihres Bestandes / von Alice Rabeler. Köln, 1995 (Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln; 5)
[3] Zur Geschichte der Familie Westerholt vgl. Herjo Frin: Von Westerholt: ein Adelsgeschlecht der Vestischen Ritterschaft; genealogische Aufstellung der ersten zwanzig Generationen. In: Vestische Zeitschrift 82/83. 1983/1984, S. 243-326. Weiterhin sei auf eine streckenweise unterhaltsame Familien-Biographie hingewiesen: Max Friedrich Graf Westerholt: seine Familie und seine Zeit / von Fritz Graf Westerholt-Arenfels. Privatdruck: Köln, 1939
[4] Zu Forschung und besonderen Kennzeichen von Adelsbibliotheken s. a. Wolfgang Adam: Privatbibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Forschungsbericht (1975 - 1988). In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. 15.1990, S. 123-173
[5] Zur Geschichte des Hauses von der Leyen vgl. Wolfgang Krämer: Beiträge zur Geschichte des mediatisierten Hauses von der Leyen und zu Geroldseck. Gauting bei München 1964, als auch Arthur Kleinschmid: Geschichte von Arenberg, Salm und Leyen; 1789 - 1815. Gotha, 1912, S. 282-403
[6] s. Rabeler, S. 20-27
[7] Schiller und Mercier trafen sich 1787 in Mannheim. Auf Merciers Wunsch wurden in dem von Schillerintimus Dalberg geführten Nationaltheater die Räuber gegeben. Dalbergs Schwester Marianne war verheiratet mit Franz Karl von der Leyen, Bruder des bereits erwähnten Mainzer Domprobst Damian Friedrich.