Geschichte und Bestand

Portrait von Jonathan Swift
Jonathan Swift (1910)
© Charles Jervas / Wikimedia Commons

Jonathan Swift (1667–1745)

Als Kinderbuch sind Gullivers Reisen weltweit bekannt, dessen Autor Jonathan Swift blieb jedoch nicht nur hier zu Lande seltsam blass, obwohl der Dechant von St. Patrick ein umfangreiches, vielschichtiges Ouvre hinterlassen hat und darüber hinaus eine äußerst schillernde Personlichkeit war. Er wurde aus Rache zum Kinderbuchautor degradiert, so sieht es jedenfalls Prof. Hermann Josef Real, Leiter des Ehrenpreis-Instituts, maßgeblicher Swift-Forscher und Übersetzer in Deutschland. Schließlich sind die vier Reisen des Lemuel Gulliver, erstmals anonym 1726 in London bei Benjamin Motte jr. unter dem Titel "Travels into several remote nations of the world" (Reisen zu mehreren entlegenen Völkern der Welt) erschienen, von den Zeitgenoss*innen und meisten Kritiker*innen nach anfänglicher Begeisterung als eine bitterböse Abrechnung mit der englischen Gesellschaft, ja, als ein Angriff auf die Würde des Menschen wahrgenommen worden. Die Intention des "misanthropischen" Satirikers, zu zeigen, dass der Mensch als Gattung kein vernünftiges Geschöpf, sondern höchstens ein zur Vernunft fähiges Wesen ist, provozierte gar noch Thackeray zu der Formulierung er sei ein "Schreie und Verwünschungen gegen die Menschheit ausstoßendes Ungeheuer".

Der damals schon 60-jährige Swift war kein Unbekannter: Der Dechant aus Dublin, Doktor der Theologie, ehemals Sekretär des Diplomaten Sir William Temple, 1710–1713 chef de propagande der Regierung Harley-St. John unter Queen Anne und einer der prägenden Intellektuellen der englischen Aufklärung, war bis dahin immer auch als ein politischer Autor registriert worden, nicht leicht zu fassen und mitunter die Seiten wechselnd. Er lässt sich nach erfolgreicher Agitation gegen die Ausbeutung Irlands durch England als irischer Patriot feiern, ist loyal gegenüber der High Church und gleichzeitig verbittert, nicht zumindest Bischof geworden zu sein, man findet ihn bei der Partei der Whigs und dann bei den Tories. Bei allen seinen Wendungen bleibt er jedoch gegen allen politischen Fanatismus gefeit und fördert entschieden, trotz seiner Abneigung gegen das Moderne, die öffentliche Auseinandersetzung. Es scheint mitunter der politische Diskurs schlechthin im Mittelpunkt seines Interesses zu stehen.

Der Person, der Stellung und dem Werk gerecht zu werden, zu erforschen, "warum Swift dachte, wie er dachte", dafür steht das Ehrenpreis-Institut. Benannt nach dem anerkanntermaßen wichtigsten Swift-Forscher des 20. Jahrhunderts, dem Amerikaner Irvin Ehrenpreis (1920–1985) (Ehrenpreis, Irvin: Swift: the man, his works, and the age. – London: Methuen, 1983), als Gastprofessor von 1981–1985 am Englischen Seminar in Münster tätig, existiert das Institut seit 1986 in Räumlichkeiten der Universität Münster und wird hauptsächlich durch einen gemeinnützigen Förderkreis finanziert. Neben der Herausgabe einer eigenen Zeitschrift (Swift studies: The annual of the Ehrenpreis Center), der Ausrichtung regelmäßiger Symposien und ähnlicher Aktivitäten, die man von einem Forschungsinstitut erwarten kann, unterhält das Institut eine bemerkenswerte Bibliothek, in dessen Katalogen nun via Internet weltweit recherchiert werden kann.

Die Bestände des Ehrenpreis-Instituts

Man kann vier Sammelschwerpunkte und Ziele unterscheiden. Als größter Bestand ist der Bereich der Swift-Kritik zu nennen. 2500 Titel, daneben noch unzählige Aufsätze, Rezensionen und Sonderdrucke bilden die Geschichte der Swift-Kritik seit 1750 nahezu vollständig ab. Da aus einem kultur-soziologischen Verständnis heraus der Begriff der Kritik sehr weit gefasst ist, also über Werk und Person hinaus weist, findet sich beispielsweise zur Rezeption von Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts genauso Erhellendes wie zu Lust und Liebe im Rokoko. Durch eine über den Globus verteilte Spendenfreudigkeit, begründet wohl vor allem in dem Renomee, welches das Institut mittlerweile erlangt hat, finden nicht nur brasilianische, italienische oder russische Dissertationen ihren Weg nach Münster, sondern auch ganze Nachlässe anderer namhafter Forscher*innen werden in die Bestände integriert. Den Grundstock bilden aber, neben der ca. 800 Monographien umfassenden Sammlung von Irvin Ehrenpreis, die von Martin Kallich, ehemals Professor an der Northern Illinois University, sowie die von Hermann Josef Real und Heinz J. Vienken eingebrachten persönlichen Archive. Neuerscheinungen im Bereich expliziter Swift-Kritik müssen bisweilen nicht mehr gekauft werden, sondern werden ebenfalls großzügig gespendet. Da ansonsten das Budget eher schmal ausfällt, hat man somit ein wenig Luft für die anderen ambitionierten Sammelschwerpunkte.

In einem einzigartigen Umfang finden sich Textausgaben von Jonathan Swift. Beginnend mit den Erstausgaben, zumeist wertvolle, in Leder gebundene Bände, ist jede nur erdenkliche Sprache vertreten, von albanisch über japanisch bis zu tschechisch, jede Aufmachung, jedes Format und jedes Jahrzehnt. Viele illustrierte Kinder- und Kunstausgaben sind vertreten, von billigen kleinen pop-up-books bis zu aufwendigen, limitierten, bibliophilen Ausgaben.

Den sicherlich reizvollsten Bereich stellt die Rekonstruktion der Bibliothek und der Lesewelt von Jonathan Swift dar. Die aufwendige, spezielle Kenntnisse erfordernde Katalogisierung dieser Bestände ließen es auch ratsam erscheinen, die Durchführung des Projektes in der Arbeitsstelle für Historische Bestände in Westfalen der Universitäts- und Landesbibliothek Münster anzusiedeln, wenngleich Jonathan Swift nachweislich kein Westfale war.

Die Lesewelt umfasst ca. 210 Titel, davon konnten bisher etwa 60 % erworben werden, allerdings sind auch viele Kopien darunter. Es handelt sich hierbei um äußerst seltene Texte, hauptsächlich Pamphletliteratur, anonym erschienen und – dies gilt für englische Drucke dieser Zeit allgemein – in Deutschland kaum vertreten. Im HBZ-Datenpool waren die Titel zu über 90 % gar nicht nachgewiesen. Es handelt sich inhaltlich um Texte, die nachweislich von Swift herangezogen, zitiert und verarbeitet wurden, sie helfen somit die in der Forschungsliteratur kursierenden, oftmals willkürlich aufgestellten, Parallelen und Analoga nachprüfbar zu machen.

In besonderem Maße gilt dies für die Rekonstruktion der Swift'schen Bibliothek. Dieser Bestand ist sicherlich auch äußerlich der eindruckvollste und schönste der Bibliothek. Gesondert in mit Glastüren verschlossenen Regalen aufgestellt, wird die, ursprünglich einmal ca. 470 Bände umfassende, Privatbibliothek präsentiert. Dabei handelt es sich nicht um den Originalbesitz, sondern um gut erhaltene oder aufwendig restaurierte Exemplare gleicher Auflage, die hier versammelt sind; mittlerweile fast 300 an der Zahl – auch in diesem Bereich waren nur 1/3 davon im nordrhein-westfälischen Verbundkatalog nachgewiesen. Was die Tätigkeit erleichtert, ist der glückliche Umstand, dass sowohl Inventarlisten aus den Jahren 1715 und 1742 vorliegen (zusammengestellt von ihm selbst bzw. von Reverend John Lyon, der ihm in den letzten Jahren den Haushalt führte) als auch der Katalog für die Auktion, auf der 1745 seine Bücher versteigert wurden.

Dennoch scheint angesichts der Preisrealität und des Angebots des antiquarischen Marktes die vollständige Rekonstruktion nur sehr langfristig zu erreichen zu sein, wenn nicht gar zu scheitern. So besaß Swift vier Inkunabeln, von denen bisher nur eine erworben werden konnte – eine 1495 bei Johannes Froben in Basel erschienene Bibelausgabe – ganz zu schweigen davon, dass einige Desiderate in den zurückliegenden 15 Jahren in keinem der requirierten Kataloge überhaupt aufgetaucht sind.

Bei der Durchsicht des Bestandes fallen vor allem die seltenen Werke aus den Druckorten London, Oxford und Dublin zu Religionsstreitigkeiten und zur englischen Geschichte ins Auge, exemplarisch hierfür "Memoirs Of what Past in Christendom" seines früheren Arbeitgebers William Temple, erschienen 1700 bei Chiswell and Tonson in London, die dreibändige "Complete History of England", herausgegeben von John Hughes in London im Jahre 1706, oder etwa Henry Feltons "The Christians Faith Asserted Against Deists, Arians and Socinians", 1732 von Richardson in Oxford auf den Markt gebracht. Die meisten griechischen und lateinischen Klassikerausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts stammen dagegen vom Kontinent, vor allem aus dem Gebiet der heutigen Niederlande, z. B. von Elzevier aus Leiden oder Blaeu aus Amsterdam.

Für die Forschung ergeben sich ein besonderer Reiz wie auch Vorteil, da zwar Titel und somit Interessensfelder der Swift'schen Bibliothek wie auch Hinweise auf Textstellen durchaus bekannt waren, es aber ohne die Bibliothek des Ehrenpreis-Instituts nicht möglich wäre, die Texte selbst an einem Ort miteinander zu vergleichen und den "links" nachzuspüren. Die für die Neuzugänge zu erfolgende Katalogisierung ist gesichert und dem Institut und Prof. Real ist zu wünschen, dass weder das Glück beim Besuch der Antiquare, noch das Geld der Spender*innen abhanden kommen.

Text: Peter Peitz

Recherche

Die Bestände des Ehrenpreis-Instituts können im hbz-Verbundkatalog des Hochschulbibliothekszentrums NRW recherchiert werden.
Das Sigel des Ehrenpreis-Instituts ist 6/276, der Owner ist M1154. Die vier Sammelschwerpunkte der Bibliothek Criticism, Texte, Lesewelt und Libri rari (d. i. die Rekonstruktion der Swift’schen Privatbibliothek) sind jeweils am Anfang der Signatur angegeben.

Zeitschriften

Die im Ehrenpreis-Institut für Swift-Studien vorhandenen Zeitschriften können Sie in der Zeitschriftendatenbank recherchieren.
Auf der Startseite wählen Sie in der Suchkategorie "CQL-Syntax" aus und geben im Suchfeld isl=DE-6-276 ein.

Bestandserhaltung

Die Bücher befinden sich in einem guten Zustand; einige Bände wurden einer Einzelrestaurierung unterzogen.

Publikationen

Monographien

  • Real, Hermann Josef [Hrsg.]: Reading Swift. Papers from the Fourth Münster Symposium on Jonathan Swift. <4, 2000, Münster, Westfalen>.
    München: Fink 2003. – 452 S. ISBN 3-7705-3677-0
    im Bestand der ULB
  • Real, Hermann Josef [Hrsg.]: Reading Swift. Papers from the Third Münster Symposium on Jonathan Swift. <3, 1994, Münster, Westfalen>.
    München: Fink 1998 – 367 S. : Ill. ISBN 3-7705-3298-8
    im Bestand der ULB
  • Rodino, Richard H. [Hrsg.]: Reading Swift. Papers from the Second Münster Symposium on Jonathan Swift. <2, 1989, Münster, Westfalen>.
    München: Fink 1993. – 271 S. : Ill. ISBN 3-7705-2778-X
    im Bestand der ULB
  • Real, Hermann Josef [Hrsg.]: Proceedings of the First Münster Symposium on Jonathan Swift. <1, 1984, Münster, Westfalen>.
    München: Fink 1985. – 396 S. : Ill. ISBN 3-7705-2300-8
    im Bestand der ULB
  • Real, Hermann Josef and Heinz J. Vienken: A catalogue of an exhibition of imprints from Swift’s library. Held on the occasion of the First Münster Symposium on Jonathan Swift at Münster University from 18 june to 13 july 1984.
    Münster 1984. 59 S.
    im Bestand der ULB

Aufsätze

  • Peitz, Peter: All about Swift.
    In: ProLibris 4 (1999) 3, S. 139–141
  • Real, Hermann Josef: Das Ehrenpreis-Institut für Swift-Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität.
    In: Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität. 1998/1999 (2000), S. 20–21

Förderer

Ermöglicht wurde das zweijährige Projekt durch die finanzielle Unterstützung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die bibliothekarischen Arbeiten besorgte die Arbeitsstelle Historische Bestände in Westfalen der Universitäts- und Landesbibliothek Münster.