Die Restaurierungsarbeiten in der Briloner Propstei

Das alte Buch ist ein gefährdetes Kulturgut. Zahlreiche Drucke in den historischen Bibliotheken, den "Wissensspeichern", die dem schönen Goethewort zufolge "lautlos Zinsen bringen", sind bedroht, denn viele der älteren, wertvollen Bücher haben in den letzten Jahrhunderten stark gelitten - aus Mangel an finanziellen Möglichkeiten zu ihrer Rettung und oftmals auch aus Ignoranz gegenüber unserem kulturellen Erbe.

Ganzpergamentband. Rot gefärbtes Pergament mit reicher Goldprägung, Schließenbänder abgerissen
© ULB

Dringend erforderliche Restaurierungsmaßnahmen wurden an den älteren und wertvollen Drucken der Propsteigemeinde eingeleitet. Angesichts der Größenordnung der Aufgaben ist jede Summe willkommen, hat doch eine gute, fachgerechte sowie handwerklich und technisch vollkommene Restaurierungsleistung ihren entsprechend hohen Preis. Und nur eine fachgerechte Restaurierung in ausgewählten, stets kritisch geprüften Fachwerkstätten kommt in Frage, denn stümperhafte, wenngleich oftmals gut gemeinte "Restaurierungsbemühungen" gibt es leider mehr als genug.

Es sind eine ganze Anzahl von Vollrestaurierungen vorzunehmen. Außerdem müssen Schutzschuber aus säurefreiem, alterungsbeständigem Material für gefährdete Objekte gefertigt werden. Bei den Restauratoren arbeiten wir mit einem bewährten Quartett zusammen, welches sich geradezu ideal ergänzt, denn alle vier Spezialisten sind langjährige Vertragspartner der Abteilung "Historische Bestände in Westfalen" an der ULB Münster.

 

 

Typischer Schadensbefund durch Nagetierfraß
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Ist es der berühmt-berüchtigte "Zahn der Zeit", der diesen Büchern zugesetzt hat? Waren sie unzureichend verarbeitet? Das Gegenteil ist der Fall, denn unsere Vorfahren aus dem 15. bis 18. Jahrhundert verwandten erstklassiges Material: Solides und langlebiges Hadernpapier für den Druck, Eichen- oder Buchenholzdeckel für den Einband und Leder oder Pergament für den Bezug: Dauerhaftigkeit schien garantiert. Und doch: Wie so oft ist es der Mensch, der durch unzureichende Lagerung der Bücher oder durch falsche Handhabung die Schädigung hervorgebracht hat.

Schauen wir uns einen typischen Schadensbefall an: Der aus altem Buchen- oder Eichenholz gefertigte schwere Deckel ist gebrochen, die den Band zusammenhaltenden Messingschließen sind abgefallen, der Rücken ist abgeplatzt, so dass sich danach auch die Heftung gelockert oder gar gelöst hat. Das Papier, teils durch Schadinsekten, teils durch Feuchtigkeitseinfluss geschädigt, weist zahlreiche Einrisse und Fehlstellen auf.

Typischer, als Holzdeckelband gearbeiteter Ganzledereinband
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Zur Restaurierung wird zunächst einmal der gesamte Buchblock auseinander genommen. Das Buch zerfällt nun in seine einzelnen Bestandteile, sogenannte "Lagen". Diese "Lagen" werden weiter bis hin zum einzelnen Buchblatt zerlegt, danach werden diese Einzelbuchblätter uinächst einmal gewässert - durch die Wässerung quellen die Faserndes Papiersund die Molekülketten verbinden sich wieder dichter. Danach erfolgt eine Trocknung der Lagen, später eine Nachleimung mit natürlichem, tierischem Leim und abschließend eine Pressung und Glättung. Danach erfolgt die Ergänzung von Fehlstellen im Papier. Hier wird entweder langfa¬seriges Japanpapier "angesetzt" oder es werden die Fehlstellen mit einem Papierbrei im sog. Ansaugverfahren (auf einem Ansaugtisch) geschlossen. Nachdem die Lagen auf Doppelbünde neu geheftet wurden, ist der erste Schritt, die Restaurierung des Buchblocks, erfolgreich abgeschlossen.

Schwieriger wird es beim Einband. Hier müssen zunächst der Wissenschaftler, sei es als Historiker, Einbandforscher oder Bibliothekar, der die historischen Zusammmenhänge kennt, im Zusammenwirken mit dem Restaurator, welcher die technische und praktische Seite vertritt, entscheiden, was vom alten Einband erhalten und wiederverwandt werden soll, denn Einbände liefern der Forschung z.B. im Bereich der Kunstgeschichte, der Ikonographie, der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte wertvolle Detailinformationen. Die Entscheidung über das sachgerechte Vorgehen ist nicht immer leicht zu fällen, denn gute Restaurierungsarbeit kostet viel Geld. Falls eine Vollrestaurierung technisch nicht mehr machbar erscheint, wird man zu einem neuen Einband greifen, auf den dann die historisch oder kunsthistorisch relevanten Teile des Originaleinbandes aufgezogen werden. Dass umfangreiche Arbeiten stets durch eine photographische Dokumentation, welche das "Vorher - Nachher" zeigt, begleitet werden, liegt auf der Hand.

Schön gestaltetes Titelblatt mit Darstellungen der Anbetung des Kindes durch die heiligen drei Könige und Bruno, dem Karthäuser

Zwei Beispiele aus der Briloner Propsteibibliothek sollen das Gesagte verdeutlichen. Die Abbildung zeigt einen geschädigten Ganzlederband. Bei diesem Band haben wir das grosse Glück, dass der Buchblock noch in Ordnung ist, also der Einband seine Funktion als Schutz (und Zierde) des Buchblocks wahrnehmen kann. Gleichwohl besteht dringender Handlungsbedarf, denn bei jeder weiteren Benutzung werden Teile des Lederbezugs abfallen und verloren gehen. Der Restaurator wird nun den Lederbzug sorgfältig zu etwa einem Drittel von den massiven Buchenholzdeckeln lösen. Danach erhält der Band einen neuen Lederrücken aus dem gleichen Material und der gleichen Farbe wie das Original (in diesem Fall vegetabil gegerbtes Kalbleder). An diesen Rücken werden dann die beiden Ledernutzen angesetzt.

Schwieriger ist der zweite Fall: Hier ist neben dem Einband auch der Buchblock stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Also muss der Restaurator den gesamten Band auseinandernehmen, säubern, Fehlstellen ergänzen und neu heften. Dies geschieht auf doppelte, sog. "erhabene" Bünde. Danach erhält der Band einen neuen Ganzledereinband. Auf diesen werden die Ledernutzen wieder aufgezogen, denn Dekor und Stempel sowie auch die Gebrauchsspuren sind Teil der historischen Überlieferung, nicht ausschließlich die textuelle Information.

 
Der gleiche Band von außen betrachtet: Kaschierungen des Leders mit Papiermakulatur
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In manchen Fällen wird man nicht zu einer Vollrestaurierung greifen, denn auch ein beschädigter Band kann noch benutzt werden. Dann ist aber unbedingt eine Sicherung aller losen Teile am Buchblock erforderlich, damit nichts verlorengeht. In vielen Fällen greift man auch zu Schutzschubern oder Buchschuhen als preiswerten Konservierungshilfen. Doch immer muss eine eingehende Schadensanlyse durch den Fachmann oder die Fachfrau erarbeitet werden - denn jedes Buch ist anders.

Das "neue" alte Buch steht somit bald wieder für den Leser bereit und wir können nur mit dem großen Bibliophilen und Lordkanzler der englischen Könige Richard de Bury hoffen, dass seine vor über 600 Jahren im "Philobiblon" ausgesprochene Mahnung befolgt werde: "Mit Maß und Bedacht sollen sie Bücher aufschlagen und schließen, sie nicht mit unbedachter Hast öffnen und sie nach beendetem Lesen auch nicht einfach liegen lassen, sondern stellen, wohin sie gehören. Denn größere Sorgfalt verdient doch wohl ein Buch als ein Stiefel."