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Deutschlandfunk „Im Gespräch“: „Mit offenen Ohren durch die Stadt“

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„Die Sozi­olin­guistin Diana Marossek hat dem Volk aufs Maul geschaut – und dabei „Kurzdeutsch“ ent­deckt. „Kommst Du Bahn­hof oder hast Du Auto?“ heißt denn auch ihr Buch zum The­ma. Dafür hat sie mehr als 6000 Proban­den gelauscht.

Wenn eine Achtk­läss­lerin ihren Fre­un­den „Ich geh Spielplatz“ zuruft und ihr Kumpel antwortet: „muss Train­ing!“, dann ist das ein Fall für Diana Marossek. In ihrer Dok­torar­beit unter­suchte die Sozi­olin­guistin die jüng­sten Entwick­lun­gen der gesproch­enen Sprache und stieß dabei auf einen Trend zur verkürzten Aus­druck­sweise. „Kurzdeutsch“ nan­nte sie for­t­an diese Sprech­vari­ante.
„Es gab für diese Art zu sprechen bei Google keinen Begriff und auch in der Fach­lit­er­atur gab es keinen Begriff. Es geis­terten so Sachen rum wie ‚Dön­erdeutsch‘ oder ‚Kiez-Deutsch‘ oder ‚Assi-Sprech‘. Das fand ich alles über­haupt nicht passend. Und wenn man jeman­dem sagt: Ich erforsche einen ‚Eth­no-Dialekt‘ oder einen ‚sozial geprägten Eth­nolekt‘, dann guck­en einen alle an. Also musste ich ein Wort erfind­en, das den Sinn der Sprache wiedergibt, das verkürzt und von jedem ver­standen wird“, erläutert Marossek.

Sprach­forschung in der Berlin­er S‑Bahn
Schon als Kind entwick­elte die gebür­tige Ost­ber­liner­in feine Anten­nen für unter­schiedliche Sprechkul­turen. Nach einem BWL-Studi­um schloss sie deshalb einen Mas­ter in Sozi­olin­guis­tik an. 2016 erschien ihr Buch „Kommst du Bahn­hof oder hast du Auto?“, für das sie die Sprech­weise von gut 6000 Men­schen analysierte. Nur – wie macht man das am geschick­testen, ohne etwa die Authen­tiz­ität zu ver­fälschen?
„Man kann ja nicht zu den Leuten hinge­hen und sagen: Hal­lo, mein Name ist Diana und ich würde gerne mal hören, wie scheiße du sprichst.“
Diana Marossek entsch­ied sich für die heim­liche Vari­ante: Sie fuhr stun­den­lang mit offe­nen Ohren in der Berlin­er Ring­bahn und lauschte ihren Mitreisenden. Außer­dem set­zte sie sich als Ref­er­en­darin getarnt hin­ten in die Klassen­z­im­mer und sam­melte dort die Sprachge­wohn­heit­en von Schü­lerin­nen und Schülern.
Viele kön­nten dur­chaus auch „Langdeutsch“ sprechen, es gehe bei der Art sich auszu­tauschen oft um eine Zuge­hörigkeit, die je nach Kon­text geän­dert wer­den könne.
Für Außen­ste­hende ist das nicht unbe­d­ingt leicht zu erken­nen. In manchen Fällen, sagt die Mittdreißigerin, kön­nten etwa Beschimp­fun­gen dur­chaus fre­und­schaftlich gemeint sein.
„Die rit­uelle Beschimp­fung ist ein Phänomen, bei dem man sich gegen­seit­ig als ‚Opfer‘ oder als ‚Miss­ge­burt‘ oder als ‚Tus­si‘ beze­ich­net und eigentlich sagen möchte: Du gehörst zu mein­er sozialen Gruppe.“
Dabei sei Kurzdeutsch nicht auss­chließlich auf eine bes­timmte Leben­sphase beschränkt. „Früher war Jugend­sprache etwas, was Jugendliche gesprochen haben. Heute ist Jugend­sprache etwas, was bis ins Erwach­se­nenal­ter gesprochen wird.“

„Das Gehirn merkt: Das funk­tion­iert!“
Diese Entwick­lung erk­lärt sie sich auch mit den sich ändern­den Kom­mu­nika­tions­for­men durch Mes­sen­ger-Dien­ste, denen eine verk­nappte Sprache oft ent­ge­genkommt.
„Früher musste man für die SMS ja bezahlen. Deshalb hat man sich so kurz gefasst wie möglich und auch Artikel wegge­lassen. Und wenn das Gehirn merkt, das funk­tion­iert und man wird ver­standen, warum sollte man es lassen?“
Für ihre Ent­deck­ung wurde Diana Marossek mit dem Deutschen Stu­di­en­preis der Kör­ber-Stiftung aus­geze­ich­net. Heute präsen­tiert sie ihre Forschungsergeb­nisse aber nicht in den Hörsälen von Uni­ver­sitäten, son­dern auf Sci­ence-Slams. Neben ihrer Lei­den­schaft für Sprache und Sprechen inter­essiert sie sich aber auch für Bildlich­es: In Berlin leit­et sie eine Agen­tur für Street Art.“
(Deutsch­land­funk)

Sie kön­nen die Sendung, die am 5.3.2019 im Deutsch­land­funk lief, über die Seite des Senders nach­hören oder als Audio­datei herun­ter­laden.

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