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Kennen Sie schon … den Schweizer Nationalen Forschungsschwerpunkt „Evolving Language“?

Logo des NFS "Evolving Language" (https://www.evolvinglanguage.ch/)

Am 1. Juni [2020] startete der neue Nationale Forschungss­chw­er­punkt (NFS) «Evolv­ing Lan­guage». Es ist der erste NFS, der sich dem The­ma Sprache wid­met. Worum geht es?

Sprache ist eines der wichtig­sten – wenn nicht sog­ar das wichtig­ste – Merk­mal men­schlich­er Exis­tenz:

1. Sprache ist zen­tral für Kom­mu­nika­tion: auch wenn wir viel Infor­ma­tion über Gerüche, Berührun­gen oder Ausse­hen aus­tauschen, so ste­ht das doch in keinem Ver­hält­nis zur Menge und Präzi­sion der Infor­ma­tion, die wir fast pausen­los mit Sprache kom­mu­nizieren – sei es durch Laute, Gebär­den oder Schrift.
2. Sprache ist eben­so zen­tral für unser Denken: sie hil­ft uns, Gedanken zu struk­turi­eren, lose Assozi­a­tio­nen expliz­it zu machen, und Schlussfol­gerun­gen zu ziehen. Damit prägt Sprache aber auch die Art und Weise, wie wir die Welt ver­ste­hen. Bis zu einem gewis­sen Grad bee­in­flusst sie sog­ar, wie wir die Welt wahrnehmen, was wir darin erwarten und was für Erin­nerun­gen wir haben.
3. Und schliesslich ist Sprache auch zen­tral für unsere soziale Organ­i­sa­tion: die stetige Diver­si­fizierung von Sprache über die Zeit hin­weg ist ein uni­versell hochbe­liebtes Instru­ment, um Pop­u­la­tio­nen, Eth­nien und Grup­pen abzu­gren­zen, ein Gefühl der Zuge­hörigkeit zu stiften, und den Zugang zu Spezial­wis­sen zu reg­ulieren.

In allen drei Bere­ichen durch­läuft Sprache zur Zeit radikale Verän­derun­gen. […]

Diese Verän­derun­gen stellen uns vor gigan­tis­che Her­aus­forderun­gen, ver­gle­ich­bar mit den Kon­se­quen­zen, die die grossen Schritte unser­er bish­eri­gen Evo­lu­tion hat­ten, etwa der aufrechte Gang oder die Erfind­ung der Land­wirtschaft. Aber was bedeutet die aktuelle Evo­lu­tion konkret? Was bedeutet die Abkehr vom Ich und Du in der Kom­mu­nika­tion, von der Pri­vatheit inner­er Sprachvorstel­lun­gen, von natür­lichen Diver­si­fizierung­sprozessen? Wohin entwick­eln wir uns? Und wohin wollen wir uns entwick­eln?

Wie immer, wenn es um zen­trale Merk­male ein­er Art geht, kön­nen wir diese Fra­gen nur wirk­lich beant­worten, wenn wir ihre bish­erige Evo­lu­tion, ihre Phy­lo­ge­nese und Onto­ge­nese, ver­ste­hen: Woher kommt und wie entwick­elt sich unsere Fähigkeit, sprach­lich zwis­chen Ich und Du zu kom­mu­nizieren, Sprache im Gehirn vorzustellen und zu ver­ar­beit­en, und sie von Gen­er­a­tion zu Gen­er­a­tion mit fort­laufend­er Diver­si­fizierung weit­erzugeben?

Spal­tung der Fakultäten block­ierte die Erforschung der Sprachevo­lu­tion

Antworten gibt es bish­er wenige; und die weni­gen Ver­suche, die es gibt, sind hochgr­a­dig speku­la­tiv und kaum über­prüf­bar. In der Tat ist die Evo­lu­tion von Sprache nach wie vor unver­standen – manche AutorIn­nen reden gar von einem «Mys­teri­um». Das liegt vor allem daran, dass die Forschung zu Sprache bis vor kurzem fast auss­chliesslich ein Méti­er der Geis­teswis­senschaften war; Evo­lu­tions- und Hirn­forschung aber das The­ma der Natur­wis­senschaften. In der Tat hat sich seit der Spal­tung der Fakultäten vor über 100 Jahren eine immer grössere Kluft zwis­chen ein­er «sprach­lich-geis­teswis­senschaftlichen» und ein­er «math­e­ma­tisch-natur­wis­senschaftlichen» Welt entwick­elt, nicht nur an den Uni­ver­sitäten, son­dern bis in die Pri­marschule. Men­schliche Sprache wurde zunehmend als rein geistiges und kul­turelles Phänomen studiert, fast immer in der Form einzel­ner Sprachen oder Texte. Das liess kaum noch Brück­en übrig zur biol­o­gis­chen Erforschung der Kom­mu­nika­tion und Kog­ni­tion ander­er Arten. Der sys­tem­a­tis­che Ver­gle­ich von Men­sch und Tier ist aber natür­lich der Schlüs­sel zur Evo­lu­tions­forschung.

Ein trans­diszi­plinär­er Ansatz eröffnet neue Per­spek­tiv­en

Der neue NFS durch­bricht diese Bar­ri­eren. Er entwick­elt ein radikal trans­diszi­plinäres Forschung­spro­gramm in noch nie dagewe­sen­em Aus­mass, vere­int durch ein uneingeschränk­tes Com­mit­ment zu mod­er­nen Stan­dards von wis­senschaftlich­er Replizier­barkeit, Trans­parenz und Data Sci­ence. Beteiligt sind über 30 Grup­pen aus den unter­schiedlich­sten Fäch­ern, verteilt über die ganze Schweiz: Sprach­wis­senschaft, Psy­cholo­gie, Neu­rowis­senschaft, Biolo­gie, Anthro­polo­gie, Medi­zin, Genetik, Infor­matik, Geo­gra­phie, Math­e­matik und Philoso­phie.

Gemein­sam erforscht und ver­gle­icht der NFS die Kom­mu­nika­tion und Kog­ni­tion von Men­sch und Tier, beson­ders unser­er näch­sten Ver­wandten, den Men­schenaf­fen. Andere Pro­jek­te unter­suchen die neu­ronalen und com­pu­ta­tionellen Prozesse bei der Sprachver­ar­beitung, sowie die Chan­cen und Gefahren ange­wandter Neu­rotech­nolo­gie. Wiederum andere Teams erforschen, wie Kinder ihre Sprache in ganz unter­schiedlichen tra­di­tionellen Kul­turen, vom Ama­zonas bis zum Himala­ja, ler­nen. Weit­ere Pro­jek­te erforschen Diver­si­fizierung­sprozesse und Vari­a­tion in der Sprache, oder den Ein­fluss von Maschi­nen auf unsere Kom­mu­nika­tion und unser Denken. Quer­liegende Task Forces schliesslich erbrin­gen method­is­che, tech­nol­o­gis­che, philosophisch-konzeptuelle und ethis­che Exper­tise.

https://www.evolvinglanguage.ch/about_de/

Der NFS ist unter @NCCR_Language auch bei Twit­ter vertreten.

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